Wer träumt davon, als Autor:in zu (über)leben? Achtung: ist fast unmöglich!
Die Warnung in der Überschrift musste ich einmal so deutlich formulieren … Auch, wenn ich wirklich noch immer der Ansicht bin, dass jeder Mensch eine Stimme hat. Und sich aus jeder dieser Stimmen mindestens ein Buch machen lässt. Auch, wenn ich genau davon lebe, solche Buchprojekte umzusetzen – eben, weil es mir ein Anliegen ist, dass alle Stimmen gehört, beziehungsweise gelesen werden. Doch der Unterschied ist: Meine Kundinnen und Kunden haben alle einen „Brotjob“, in dem sie gut bezahlt werden. Oder wurden. Denn viele Menschen beginnen erst mit ihrem Eintritt ins Rentenalter, ernsthaft zu schreiben.
Ohne Brotjob lässt es sich kaum vom literarischen Schreiben leben
All meine Überzeugungen bleiben unberührt, wenn ich mich den 19 Autor:inen von „Brotjobs & Literatur“ anschließe, die – alle auf andere Weise – sagen: Ohne einen „Brotjob“ ist es unmöglich, vom literarischen Schreiben zu leben. Die Betonung liegt dabei natürlich auf „literarisch“ … Es gibt eine Menge Menschen, die mehr oder weniger gut vom Schreiben leben können. Aber nur zwei Prozent der „literarisch Schreibenden“ können es. Noch übler sieht es bei Lyrikerinnen und Lyrikern aus – und einige davon sind in dem Buch vertreten.
Niemand dieser Menschen kann auf seinen „Brotjob“ verzichten. Und solche Jobs sind meistens sehr weit von der Literatur entfernt. Da werden Briefe sortiert, Cocktails serviert, in Putzkolonnen, in Stahlwerken oder an Fließbändern in der Fahrzeugindustrie gearbeitet.
Und das macht natürlich was mit dem Selbstbild der Menschen, die sich eigentlich als literarisch Schreibende sehen, sehen wollen. Ergebnis: „Autor:innen haben meist Brotjobs, sprechen aber selten darüber“, so steht es im Klappentext des Buches. Und weiter: „Selbst sie gehen oft davon aus, dass bei preisgekrönten Kolleg:innen das literarische Schaffen die tragende Einnahmequelle ist. Wie unter teils prekären Bedingungen Literatur geschrieben wird, wie sich die Arbeitssituation auf Autor:innen und ihre Werke auswirkt, welche Wechselwirkungen von Brotberufen und literarischem Arbeiten es geben kann – davon erzählen hier die Texte von Philipp Böhm, Crauss, Dominik Dombrowski, Özlem Özgül Dündar, Dinçer Güçyeter, Johanna Hansen, Adrian Kasnitz, Ulrich Koch, Thorsten Krämer, Stan Lafleur, Isabelle Lehn, Swantje Lichtenstein, Daniela Seel, Sabine Schiffner, Sabine Scho, Janna Steenfatt, Michael Schweßinger, Karosh Taha und Juliane Ziese.“
Wo beginnt „Literatur“, wo endet sie?
Mir stellt sich noch eine weitere Frage: Muss eine so strikte Trennung zwischen „Text“ und Literatur eigentlich sein? Es gibt schließlich auch journalistische Texte, die nicht nur informieren, sondern selbst schon literarische Anklänge haben. Es gibt fast poetisch geschriebene Sachbücher, auch zu durch und durch wissenschaftlichen Themen. Es gibt Seminarunterlagen, die – beispielsweise wie ein Essay – durchaus literarische Qualität haben. Hier gibt es Schnittstellen zwischen Literatur und einem Leben als Texterin oder Texter, das definitiv besser bezahlt ist. Manche der Autorinnen und Autoren dieses Buchs arbeiten in genau solchen Textbereichen – und trotzdem trennen sie strikt zwischen „Literatur und Brotjob.“ Ich denke, dass diese Trennung ein wenig überholt ist.
Trotzdem:
Das Buch trifft definitiv einen Nerv, denn es legt Arbeitsbedingungen offen, die es so heute nicht mehr geben dürfte.
Ist das gerecht?
Knapp zusammengefasst: Es geht um die Ungerechtigkeit, dass literarisch Schreibende nicht von ihrer Arbeit leben können. Das ist schlicht ungerecht. Und es geht schon seit über 100 Jahren so. Das Buch, von dem hier die Rede ist, zielt in eine sehr spezielle Richtung: zu dem (unerfüllbaren) Traum vom „freien, literarischen Schreiben“. Aber neben der eher unrealistischen, schwer romantischen Grundhaltung eines solchen Traums sind es ja genau die Rahmenbedingungen, die solche Träume unmöglich machen. Ob so ein Leben wirklich jemals „frei“ sein kann, steht dann noch mal auf einem ganz anderen Blatt …
Dazu kommt: Es gibt unglaublich viele Branchen und Menschen, die ganz und gar nicht schlecht von dem leben, was Autor:innen an Literatur produzieren. Die allbekannte „Schelte“ in Richtung der Buchverlage und an die Adresse des Buchhandels ist dabei vielleicht noch das Harmloseste. Doch warum spricht so selten jemand von der TV- oder Film-Industrie und deren Gewinne? Ohne (literarische) Texte sähe es da ziemlich düster aus. Und die Verdienstmöglichkeiten sind in diesen Branchen deutlich besser als ein Leben als freie Autor:in, wie zuletzt der „Fall“ Anika Decker klargemacht hat.
Wer sollte das Buch lesen?
Wer je davon geträumt hat, als Autor:in vom Schreiben allein zu leben – und nicht gerade eine dicke Erbschaft gemacht hat oder sonst irgendwie zu richtig viel Geld gekommen ist, sollte sich fragen, ob die Doppelbelastung aus „Brotjob“ und Autorenleben auf Dauer aushaltbar ist. Denn das ist schwer. All diese Menschen sollten das Buch unbedingt lesen.
Aber auch jene, die – selbst nach den Schlaglichtern, die Corona endlich mal auf die Existenzbedingungen von Solo-Selbstständigen geworfen hat – immer noch nicht wissen, wie wir leben, uns durchschlagen und immer wieder kämpfen müssen, sollten sich für das Buch interessieren. Denn wer allzu lang in festen Anstellungsverhältnissen war, kann sich oftmals gar nicht (mehr) vorstellen, wie das geht. Ja, es kommen in diesem Buch nur Menschen zu Wort, die vom literarischen Schreiben leben (wollen). Doch deren unbestreitbar prekäre Lebensverhältnisse lassen sich mit ein bisschen Fantasie auch auf Musikerinnen, Grafiker, Bildende Künstlerinnen, Keramiker, und viele mehr übertragen.
Das Buch
Brotjobs & Literatur, herausgegeben von Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel . Broschur, 240 Seiten
Preis: 19,00 Euro, ISBN: 9783957324986, erschienen im Verbrecherverlag – und dort auch bestellbar.