Ein Buch, das Zeit, Literatur und Sprache fulminant verwirbelt: Die Miranda von Dirk Mende

Ein Buch, das Zeit, Literatur und Sprache fulminant verwirbelt: Die Miranda von Dirk Mende

Ja, ich möchte euch ein Adventsgeschenk machen … Ein Buch, das so liebevoll ausgestattet ist, wie es kaum ein Verlag heute noch tut – und der, der es tat, den gibts schon gar nicht mehr. Das Buch, um das es hier geht, ist bereits 2012 erschienen: Dirk Mende – Miranda und die Wunderfeder, wie immer bei mir über den Shop der Autorenwelt. Gibt es aber natürlich auch antiquarisch …

Miranda von Dirk Mende, Dirk Mende, Miranda, Buchempfehlung, Miranda und die Wunderfeder, Verlag Johannes M. Mayer

„Curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibungen“

Halt! Der Titel ist ja noch lang nicht vollständig. Untertitel: Eine unerhörte Reise mit Geschichten und Gedichten samt einem kleinen Stücklein, heißet: ‚Was denn die Liebe sei‘ beygenannt Des Daradiricribifax‘ wahrhaftige / curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibungen / zu Wasser und zu Land / in Erd‘ und Luft / benebst den un=erhörten Abenteuern der toll=kühnen / engel=schönen Miranda / gewidmet seiner Insel Pimperle / vom Verfasser. Aufgeschmükkt mit allerley Bild=Bey=Werck / Aus einer höchst=curiösen Bücher=Rumpel=Kammer ans Licht gesätzt.

Däumlinge, Elben, Teddybären …

Alles klar? Ja, wir befinden uns mitten in der Barock-Zeit, mit überbordender Fantasie, Seil-, grafischen und Sprach-Kunststücken, richtig derben Sprüchen, Todeskultur, Rätseln, Sprachspielen noch und nöcher, schelmischen Erzählungen von Däumlingen, Elben, Teddybären, einem Elefantenpalast, der Beschreibung von Wirtshaus-,. Bergwerks-, Reise-, Bekleidungs- und Beerdigungskulturen,  Marktgeschehen und amourösen Abenteuern, dass einem schwindlig werden kann, einem höchst bösen Schattenkönig, dem mit ihrer Wunderfeder unversehns durch die Weltgeschichte gewehten Mädchen Miranda – die nun wieder mit Sicherheit eine Schwester von Alice im Wunderland und Pippi Langstrumpf ist. Mitten in einem Buch, das von äußerst wunderlich sprechenden, aussehenden und denkenden Menschen bewohnt wird …

Dirk Mende weiß, was er tut. Denn er liebt es

Nicht selten hab ich beim Lesen vor Lachen laut geprustet … Allerdings: Mein „Vergleichs-Leser“ fehlt mir jetzt noch. Einer, der nicht wie ich Literaturgeschichte studiert hat (ja, witzigerweise unter anderem gerade bei eben dem Dirk Mende, an den ich Jahrzehnte nicht mehr gedacht hatte. Der Literaturgeschichte gelehrt hat, sie aus dem Effeff kennt und nur darum so virtuos mit ihr spielen kann, weil er sie – nicht zuletzt in ihrer wunderlich-eigensinnigsten Form – über die Maßen liebt.) Mein Vergleichs-Leser wird einer sein, der nicht ganz so literarisch bewandert ist … Und ich weiß nicht, ob der auch in so lautes Lachen ausbrechen wird wie ich. Vermute aber: Ja, doch. Allerdings wohl an ganz anderen Stellen. Denn amüsant ist das Buch allemal. Etwa, wenn Miranda auf ihren ausgedehnten Abenteuerreisen versehentlich für eine lang erwartete Oberste Richterin gehalten wird … In einem Land, in dem die Menschen irgendwie alle Buchstaben vertauscht haben. Weshalb die „Hohe Frau Miranda“ zur „Hohen Sau“ mutiert. Und sich sofort darauf einlässt – denn es gibt in diesem Land für eine Richterin wirklich viel zu tun, wie sie „ihrem Fürsten“ dort sofort versichert. Sie freut sich, hier zu sein: „Ich reue mich, Tier zu sein. Es gibt viel zu muhn, mein Würst!“ Natürlich gibt es auch mehr als eine Liebesgeschichte, Faust- und Schwertkämpfe, Erinnerungen, Verluste, Träume, Sehnsucht, Nachdenkliches, Anrührendes, Natur-, Tier- und Landschaftsbeschreibungen, gern auch mit skurrilen Abbildungen daneben. Und immer wieder: Saukomisches.

Die literarischen Zitate, die Mende dabei einbaut, kann selbst ich gar nicht alle identifizieren … Ist aber auch völlig egal, denn dieses Buch schafft sich seine eigene literarische Welt. Dafür muss man eigentlich kaum andere Literatur kennen. (Aber es schadet natürlich auch nichts …) Das sieht Malte Bremer ähnlich. Von dem (von manchen Autor/innen durchaus zu Recht gefürchteten) Kritiker des Literaturcafés stammt nämlich eine der (leider!) wenigen Rezensionen des Buchs, hier.

Wie schaffe ich es, Zeit im Buch nicht stattfinden zu lassen?

Die Art, wie Mende erzählen kann, ist schon kunstvoll genug. Doch die allergrößte Kunst – neben seiner überbordenden Sprache – liegt für mich darin, dass er es schafft, Zeit einfach nicht stattfinden zu lassen. Pippi Langstrumpf ist genauso präsent in dieser barocken Welt wie der deutsche Nationalsozialismus. Oder ein gewisser „Helmut K.“: Der wollte „den Mantelsaum der Geschichte ergreifen, doch es reichte nur zu einem pfälzischen Wurstzipfel.“

Geschichten wie eine Zwiebel

Zeit ist auch darum schier außer Kraft gesetzt, weil diese Art des Erzählens im Moment alles andere als a la mode ist … Aber ich teile Mirandas Standpunkt (der vermutlich auch der ihres Autors ist) vollständig: „Ich mag, musst du wissen, nur Geschichten, die, wie soll ich’s sagen, Ränder haben oder Schalen oder Häute. Und mindestens so viele wie Zwiebeln.“

Wer das auch so sieht, dem seien Miranda und ihre Wunderfeder für die eigene Advents- und Weihnachtszeit liebevoll ans Herz gelegt … Oder auf den Gabentisch eines netten Menschen. Der wirklich groß-barock-grotesk-amüsant Erzähltes liebt.

Viel Spaß damit!


 

Ich freue mich, wenn ihr diesen Beitrag in die Welt tragt ... danke!

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