Vom Älterwerden erzählen: Ja oder nein?
Vor einiger Zeit hatte ich auf Xing eine fast schon hitzige Debatte mit einem Herrn über 50, der miserable Erfahrungen mit Weiterbildungsangeboten für „Ältere“ gemacht hatte. Da sei er wie ein seniler Alter behandelt worden, nach dem immer ähnlichen Motto hilfloser jüngerer Menschen, die so was fragen wie: „Na, haben wir heut schlechte Laune?“ Ich bin sicher: So etwas geschieht immer nur aus Hilflosigkeit. Wenn Jüngere nicht so recht wissen, was die richtige (An)Sprache ist. Auf Ältere aber kann das ziemlich verletzend, abwertend, ausgrenzend wirken. Ebenso wie viele andere Dinge: Uns wird nichts mehr zugetraut, unterstellt, wir seien engstirnig, vertrottelt, egoistisch, eigenbrödlerisch, unbeweglich in Kopf und/oder Körper, haben unsre „Schäfchen im Trockenen“, keine Wünsche und Träume mehr…. bitte selbst ergänzen! Der gleiche Herr war dann allerdings der Ansicht, es sei besser, das Alter gar nicht erst zu thematisieren, damit eben diese Ausgrenzungen nicht passieren. Das ist für mich die klassische Vogel-Strauß-Haltung: Kopf in Sand, Augen zu, Problem gelöst. Doch es hilft doch in Wirklichkeit gar nichts! Woher sollen denn Jüngere wissen, wie wir „ticken“, wenn wir das nicht selbst erzählen?
Vom Älterwerden erzählen!
Wenn wir nicht drüber reden, nicht über unsre Hoffnungen und Wünsche – ebenso wie über Enttäuschungen, Befürchtungen, Krankheiten, Ängste? Ich jedenfalls bin absolut glücklich darüber, dass so viele „50plusler“ – vor allem in ihren Blogs – so gut wie alles thematisieren können. Und wollen.
Sich jünger fühlen kann helfen
Möglicherweise ist gerade diese Haltung: „Wir gehen bewusst offensiv, oft auch mit einer bewusst positiven Einstellung mit unserem Älterwerden um“ noch in ganz anderer Hinsicht hilfreich. So berichtet die wunderbare Sonja Schiff (Altenpflege-Expertin, Gerontologin) in ihrem Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ von einer Untersuchung englischer Wissenschaftler, die ganz einfach Menschen mit einem Durchschnittsalter von 66 Jahren danach fragten, wie alt sie sich denn FÜHLEN. Die Untersuchung dauerte 8 Jahre. Und in dem Beobachtungszeitraum „starben 14 Prozent jener Befragten, die sich bei der ersten Befragung jünger fühlten als sie tatsächlich waren, während von denen, die sich älter fühlten, im gleichen Zeitraum 24 Prozent verstarben.“
Sich jünger zu fühlen, könnte also tatsächlich hilfreich sein. Nur: Um da erst einmal hinzukommen, muss man über sein Alter nachdenken, davon bin ich fest überzeugt. Auch wenn es mir grad mal wieder verstärkt entgegen schallt: Blödsinn! Alle Menschen werden älter, also: Wozu das eigens thematisieren?
Beide Seiten können lernen
Sonja Schiffs Buch ist übrigens für mich das absolute best-practice-Beispiel für den Umgang mit dem Älterwerden, dem eigenen wie dem anderer Menschen: Sie ist unbestreitbar Fachfrau, selbst „50plus“, und stellt ihr eigenes Älterwerden sehr offen den Begegnungen der von ihr gepflegten Menschen gegenüber. Immer lernt sie selbst dabei etwas, immer bleibt sie offen für andere, immer spiegelt sich im Alter der anderen ihr eigner Weg ins Älterwerden. Nun hat sie natürlich einfach „von Berufs wegen“ ständig intensive Kontakte zu Älteren. Das haben viele andre nicht. Und genau darum ist es an uns Älterwerdenden, uns selbst zu Wort zu melden. Damit wir auch von jenen jüngeren Menschen gehört – und verstanden – werden können, die nicht täglich mit Älteren in Kontakt sind… (Ja, das ist das andre, ganz große Thema: WARUM sind sie das nicht?)
Nein! DIE ALTEN gibt es nicht!
Bis hierhin also: Ein uneingeschränktes „Ja, es macht Sinn, das Älterwerden zu thematisieren!“ Einen Aspekt allerdings gibt es, bei dem verstehe ich das Unbehagen all jener, die sagen: „Was soll denn der Quatsch, immer wieder über Älterwerden, Falten etc. zu reden?!“ Das ist die drohende Pauschalisierung, die immer dann eintritt, wenn ganze Menschengruppen als vermeintlich homogener Haufen ins Blickfeld kommen: „DIE Veganer!“ Oder „DIE Deutschen“! Da wird mir immer ganz mulmig. Da ist schnell der Weg frei für pauschale (Vor-)Urteile – und Schlimmeres…. In diese Richtung scheinen all jene Stimmen zu gehen, die sagen: „Vergiss doch mal die Sache mit dem Alter! Wir sind alle Menschen, sonst nichts. Und die werden alle älter, kriegen Falten etc. Und außerdem: Idioten gibt’s überall, in jedem Alter….“ Das stimmt zweifelsohne. Aber mir persönlich ist es genau DARUM so wichtig, die Individualität, die ganz persönliche Sicht eines/r jeden von uns auf sein oder ihr Älterwerden so weit als möglich zu differenzieren, damit genau solche Pauschalisierungen gegenüber DEN Alten, die ich am Anfang aufgezählt habe, nicht eintreten.
Als Beispiel dazu nur mal die Sache mit der Pflegebedürftigkeit im Alter. Dazu noch mal aus dem Buch von Sonja Schiff: „Altwerden heisst nicht automatisch auch, pflegebedürftig zu werden. Ab dem achtzigstem Lebensjahr steigt zwar das Risiko. Rund 45 Prozent der über 80-Jährigen brauchen Hilfe, aber diese Zahl besagt auch, dass 55 Prozent allein und selbstständig ihr Leben gestalten. Gemeinerweise wird diese Zahl nicht kommuniziert, sondern nur Panikstimmung verbreitet.“
Ich bestehe drauf: Ich möchte selbst erzählen!
Also bitte ich euch: Lasst uns selbst davon erzählen, wie es sich anfühlt, älter zu werden! Ich finde es absolut keine schöne Vorstellung, wenn Jüngere nur aus Statistiken und Untersuchungen davon erfahren, wie es denn ist, wie es sein kann, wie es in Einzelfällen und ganz konkret aussieht, dieses Älterwerden. Selbst, wenn Jüngere noch intensiven Kontakt zu ihren Großeltern haben, sind das bestenfalls vier Menschen – was kaum ausreicht, um ein Bild der ganzen Vielfalt einer Generation zu kriegen…
Wenn nicht ganz selbstverständlich und an vielen verschiedenen Orten über das Älterwerden erzählt wird, dann sind wir doch erst recht wieder mitten in der Pauschal-Betrachtung gefangen, ein Teil von XY Prozent aller YZ-Jährigen zu sein! Ich will das nicht. Will selbst von mir erzählen, und nicht in den Untiefen einer Statistik verschwinden – die am Ende sowieso interpretiert werden kann und wird, wie’s wem auch immer grad passt – siehe Pflegebedürftigkeit….
Und ein Letztes: Nachdem ich mich schon in Filmen und den meisten Medien kaum wiederfinde, ist für mich das Internet der perfekte Ort, um von mir und meinem Älterwerden zu erzählen. Eine Chance, die zum Glück immer mehr Menschen nutzen!
13 Gedanken zu „Vom Älterwerden erzählen: Ja oder nein?“
hihi..
die Treppenliftanzeigen bekomme ich auch..
ich habe das Problem..
ich fühle mich eigentlich gar nicht alt..
und mein Umfeld altert ja mit mir..
ich nehme sie also nicht anders wahr als früher auch
daher ist altern eigentlich kaum ein Thema..
klar.. ich hab meine Probleme flott aus dem Auto zu kommen 😉
aber das ist keiner Diskussion wert.. und dass mich meine Treppen schaffen binde ich auch nicht jedem auf die Nase..
eigentlich fühle ich mich (im Kopf) dem Alter meiner ältesten Kinder gleich (sie kommen aber auch langsam über die 50 )
aber auch sie empfinde ich gar nicht so..
wenn ich manchmal im Supermarkt mir Leute gezielt anschaue und überlege wer in meinem Alter sein könnte erschrecke ich manchmal 😉
ok.. ich war nie im Arbeitsleben.. wie es da einem “ im Alter “ geht weiß ich nicht..
vielleicht habe ich mal mit 80 Interesse an altenspezifischer Lektüre 😉 (da hab ich noch gefühlte 30 Jahre Zeit )
liebe Grüße
Rosi
Liebe Rosi, herzlichen Dank… ja, du hast völlig Recht: Alles ist relativ… 😉 Gott sei Dank!
Herzlichen Gruß
Maria
Sonjas Buch habe ich im vergangenen Jahr gleich mehrfach verschenkt, nachdem ich es selbst gelesen und häufig dabei genickt habe.
Was unsere Erzählungen vom Älterwerden betrifft, bin ich skeptisch, ob das junge Menschen überhaupt interessiert. Ehrlich gesagt, hätte ich vor 20 oder gar 30 Jahren dafür auch kein Ohr gehabt.
Für mich war das Erreichen des halben Jahrhunderts irgendwie der Moment, seit dem ich bereit bin, mich näher mit dem Unausweichlichen zu beschäftigen.
„Das Unausweichliche“… grins. Und: Ja, genau! Wir wissen es doch alle. Irgendwie. Auch schon mit 20…. Ich will ja auch gar nicht mit dem Holzhammer kommen. Und wenn „das Alter“ überall präsent wäre, würde ich die Klappe halten. Gern sogar. Weil das aber nicht so ist, möchte ich nichts anderes, als dass das Alter als Thema irgendwie in unsrem allgemeinen Grundrauschen präsent ist. Das würde mir vollauf genügen. Manchmal aber rege ich mich auch auf. Wenn mir ganz direkt gesagt wird, das sei einfach kein Thema… Und DAS glaube ich nun wirklich nicht. Niemand hat das besser und überzeugender bewiesen als Sonja Schiff… Und an ihrem Buch BESTEHT schließlich Interesse… was mich sehr freut. Für sie wie für uns.
Herzliche Grüße
Maria
Es ist für mein Empfinden schon manchmal komisch, wenn ich jemanden als „junger Mann“ anrede und dieser dann tatsächlich jung ist.
Oder so: „Kommt ihr jungen Hüpfer mal in mein Alter …. “ Eine solche Argumentation ist irgendwie anstrengend. Denn je älter man wird, um so mehr erzählt man von früher. Also braucht man da nicht noch künstlich nachhelfen.
LG
Sabienes
Das stimmt sicher…. Und ich vermeide solche Ansprachen auch immer, wo’s nur geht…. Was mich eher ärgert, ist, dass ich mich – um mich wirklich verstanden zu fühlen – immer häufiger an etwa Gleichaltrige wende… Tatsächlich ist mein Freundes- und Bekanntenkreis älter geworden. Wie ich halt….
Herzliche Grüße
Maria
Liebe Maria, jöööööö mein Buch 🙂 Danke Dir. Freut mich sehr.
Zum Artikel: Ich habe beschlossen nicht mehr so viel vom Älterwerden zu erzählen, dafür aber eine Menge über mein Leben und meine Gedanken.
Ist ja dasselbe??
Stimmt!! 😀
Aber ich erspare mir dadurch so Kommentare wie „Warum muss man so viel über das Älterwerden reden?“….
Liebe Sonja, bist halt schlauer als ich!!! Ich merk schon, dass ich mich manchmal regelrecht provozieren lasse… Aber dann denke ich: Wenn sonst keiner die Klappe aufmacht, tu ich es halt… Hab mir auch schon oft vorgenommen, es bleiben zu lassen. Und dann denke ich wieder: Das Thema hab schließlich nicht ich gefunden, es hat mich gefunden 😉
Und so lang ich solche Menschen wie dich an meiner Seite weiß…. 🙂
Bussi!
„Uns wird nichts mehr zugetraut, unterstellt, wir seien engstirnig, vertrottelt, egoistisch, eigenbrödlerisch, unbeweglich in Kopf und/oder Körper, haben unsre „Schäfchen im Trockenen“, keine Wünsche und Träume mehr…“ Ui! Und das schon mit Ü50? Wo erlebt man denn sowas?
Ich bin mittlerweile (fast) 61, arbeite überwiegend mit jungen Menschen, gehe Hobbies nach, reise, lebe kaum anders als noch vor 20 Jahren. Miene jüngeren KollegInnen schätzen mich und meine Erfahrung, behandeln mich aber nicht anders als andere.
Ich finde es ganz schrecklich, wenn „ältere“ Menschen das Gefühl haben, sich für ihr Alter entschuldigen zu müssen, und vor allem intensiv nach einer passenden Schublade suchen. Ist das das Problem des Älter werdens?
Es ist so wichtig, geistig jung zu bleiben, sich selbst nicht auszugrenzen und selbstbewusst das zu machen, was man gerne machen möchte.
Klar, ich hab auch so langsam altersbedingte Zipperlein (Bluthochdruck, Diabetes…), trotzdem wüsste ich nicht zu sagen, wie sich das Älter werden im Gegensatz zum Jungsein anfühlt.
Wenn man sich nicht auf die Definition „ich bin alt“ zurück zieht, dann wird man auch nicht so behandelt. Und wer meint, ich sei „engstirnig“ oder gar „vertrottelt“, der lernt mich von einer ganz vitalen jungen Seite kennen!
Beste Grüße
Ulrike
Das hast Du schön geschrieben! Wir werden noch viel erzählen müssen, bevor das Älterwerden kein Thema mehr ist, mit dem wir direkt in einer Schublade landen…
DANKE, liebe Uschi!
Herzlichen Gruß
Maria
Da gebe ich Dir völlig recht liebe Maria. Auch auf die Gefahr hin, dass ich in meinem Mailaccount Treppenlift-Anzeigen erhalte. Die bekomme ich eh schon 😀
Liebe Grüße Sabine
Hihi, liebe Sabine, so wie ich mir dich vorstelle, wirst du vermutlich die Letzte von uns 50plus-Bloggern sein, die das je braucht!!!
Dir einen ganz herzlichen Gruß
Maria