Mein Leben mit Martha: lauter positive Überraschungen. Ein Buchtipp
Ja, ich liebe Überraschungen!
Die erste Überraschung war dieses Buch: so nah, so vorsichtig und doch so direkt. Schön! Zweite Überraschung war die Autorin: Ich kenne das „Branchenblatt“ der Buchhandelswelt, das Börsenblatt schon lang, hatte es sogar mal abonniert. Und lese es inzwischen eher ungern. Bis ich jetzt entdeckte, dass Martina Bergmann, die Buchhändlerin aus Borgholzhausen, dort eine überaus lesenswerte Kolumne hat. Einen eigenen Blog sowieso. Gleichzeitig ist Martina Bergmann die Autorin des Buches, das ich jetzt vorstellen möchte: „Mein Leben mit Martha“ heißt es.
Die Handlung
ist eigentlich schnell erzählt: „Martina kümmert sich um Martha. Martha ist Mitte achtzig und in einer »poetischen Verfassung«. So nannte das Heinrich, der Mann, mit dem Martha fast vierzig Jahre lang zusammenlebte. Aber jetzt ist Heinrich tot, und Martina beschließt, sich der alten Dame anzunehmen, ohne mit ihr verwandt zu sein oder sie auch nur gut zu kennen. Oder ist es vielmehr Martha, die sich Martina ausgesucht hat? So genau ist das nicht mehr auszumachen, aber es ist auch nicht wichtig, weil sie nämlich beide glücklich sind, so wie es ist.“ Steht im Klappentext. Stimmt alles, gibt aber noch lang keinen Eindruck von dem, was ich für das wirklich Bemerkenswerte an diesem Buch halte. Das ist viel eher seine Haltung, sein Blick, seine Sprache.
Sommerwind und sanftes Gleiten
Etwa das: Auf Martinas Frage an Heinrich, ob Martha sie wohl möge, lacht Heinrich – ziemlich am Anfang der ungewöhnlichen Begegnung dieser drei noch ungewöhnlicheren Menschen: „Oh ja, sonst hätte sie dich längst vertrieben. Martha schimpft manchmal mit mir, weil ich dir uns alte Leute aufgehalst habe. Martha bekommt viel mehr mit als du denkst.“ Da hat Heinrich schon Krebs. Und Martha gleitet weiterhin sanft und poetisch in das, was „der Mediziner“ normalerweise wohl einfach nur „Demenz“ nennen würde. Doch so einfach ist das nicht …
Wenige Zeilen später liegt Martina auf dem Küchensofa von Heinrich und Martha, „Sommerwind rauscht durch die Bäume, und ich fühle mich geborgen, alt sein muss nicht schlimm sein und offensichtlich kann man sogar gut sterben.“ Dass sie hier „gut“ schreibt, bedeutet absolut nicht, dass Martina Bergmann etwas verharmlosen würde … Nein: Sie behauptet nicht, dass der Tod einfach wäre. Oder das Zusammenleben mit dementen Menschen. Ganz und gar nicht. Und doch … so etwas wie Sommerwind ist immer dabei.
Kraft, Respekt. Und eine „verflixte Rennerei“
Genau aus dieser Spannung von herausfordernd Neuem (vor allem für Martina) und der sanft-poetischen Kraft von Marthas Aktionen und Reaktionen bezieht der Roman seine Kraft. Anfangs klingt das noch recht leicht: „Eigentlich klappt es mit Heinrich und Martha gut, weil wir uns respektieren. Ich habe sie in mein Leben eingebaut, freiwillig.“ Der Respekt und die Freiwilligkeit sind starke Säulen, die später allein zwischen Martha und Martina alle Belastungsproben aushalten. Die beginnen vielleicht so: „Wann ich sagen müsste, wann genau ich angefangen habe, mit alten Leuten zu leben: An dem Tag, als ich mir das erste Paar Gesundheitsschuhe gekauft habe. Viel laufen, leicht laufen. Leben mit alten Leuten ist eine verflixte Rennerei.“
[bctt tweet=“Umgang mit alten, auch dementen Menschen: Ich habe sie in mein Leben eingebaut, freiwillig. Weil das zur Zeit in der Realität so schwierig ist, macht ein Buch Mut – für später: Mein Leben mit Martha.“ username=“texthandwerk“]
Martha, Martina. Und Mimi
Denn Martina Bergmann bleibt in diesem Roman das, was sie ist: Buchhändlerin Martina Bergmann mit einer sehr lebendigen Buchhandlung in einer kleinen Stadt. Selbst die Planung des Buches nehmen die beiden – wie so vieles – gemeinsam in Angriff. Martina weiß ganz schnell, dass sie über die „kleine Oma“ schreiben will. Martha ist „sofort einverstanden […] Dass sie die Hauptfigur sein soll, steht außer Frage. Sie entscheidet auch, wie sie heißen wird und dass der Name der Katze natürlich Mimi sein soll. Alles andere ist ihr egal.“ Dass Martha kurz darauf behauptet, sie sei erst sieben Jahre alt, ist eben so. Punkt.
„Martha ist verschaltet“
Natürlich gibt es mehr als eine brenzlige Situation zwischen Martha und Martina, den größten Ärger aber machen Nachbarn, die der ungewohnten Liaison zwischen alten Menschen und einer jungen Frau regelrecht feindselig gegenüberstehen. Die zwei Frauen müssen umziehen – nicht gerade ein einfaches Unterfangen … Aber auch das meistert Martina mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus stoisch-praktischem Handeln und großem Einfühlungsvermögen. Exakt mit dieser Mischung beschreibt sie uns auch die „kleine Oma“, deren poetische Geistesverfassung, ihr oft ängstliches Verwirrtsein, ihre liebenswerte, gern verschmitzte Verweigerung mancher Dinge und Menschen … Und manchmal ist sie auch traurig.Oder hat Angst, irgendwo allein zurückgelassen zu werden.
Martina weiß genau, was los ist: „Martha ist alt. Aber das ist keine Krankheit. Und Martha ist verschaltet. Ich stelle mir ihr Gehirn so vor wie einen Sicherungskasten mit hunderttausend Einheiten. Einige sind angelaufen, zwei sind rostig. Sie sind ja schon lange in Gebrauch, über achtzig Jahre. Etwas Verschleiß scheint mir nicht ungewöhnlich. Ein paar sind an der falschen Stelle. Da sie ein Muster bilden, rund und eckig in einer aparten Folge, hat Martha sie wahrscheinlich selbst umgesteckt.“
Nie ein: „Das macht man so!“
Das ist die ganz große Stärke der Erzählerin Martina: Da gibt es nie ein „Das macht man so!“ Damit schafft sie es, dass wir Martha, deren Demenz und mögliche „Ticks“ wenigstens im Ansatz verstehen lernen. Außerdem begreifen wir, dass in manchen (sicher nicht in allen) Fällen schlichte Menschlichkeit Würde und Glück für alle Beteiligten bedeuten kann. Selbst, wenn das mal nicht der Fall sein sollte: Die Unaufgeregtheit dieses Buches tut einfach nur gut!
Das Buch
Ab August gibt es auch eine Taschenbuchausgabe, bis dahin: Nehmen Sie das Hardcover (mit Lesebändchen …): 224 Seiten, ISBN: 978-3-96161-053-2, 18 Euro. Auch als E-Book erhältlich 978-3-96161-060-0
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Danke! Das Foto stammt vom Eisele-Verlag – dort gibts noch weitere Infos zum Buch. Gekauft habe ich es mir selbst …
In eigener Sache
Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.
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