Meine Welt ist bunt. Oder: Versuch einer Orientierung
„Meine Welt ist bunt“ – Großer Gott, wie albern, populär-romantisch, kindisch, blöd klingt das denn?!
Ja, stimmt. Ist albern, populär-romantisch, kindisch, blöd. Und doch musste ich diesen Satz grad unbedingt festhalten. Denn er hilft mir, mich durch das Dickicht aus 63 Jahren Erfahrung, immer neuen Kundenstimmen und -welten zu bewegen, inmitten von neuen (technischen) Herausforderungen, gesellschaftlichen, politischen und Stimmungs-Katastrophen – die mich noch erwischen, wenn ich ganz allein zu Hause sitze. Ganz zu schweigen von all den Erinnerungen, die mich immer dann einholen, wenn ich Orientierung suche. („Ach jaaaaa … so war das damals!“ Oder noch häufiger: „Och nö, bitte nicht schon wieder alles anders, völlig neu ….“)
Älter werden und Orientierungspunkte
Genau darum geht es: um Orientierung. Ja, ich habe immer wieder Orientierungsprobleme. Und ich weiß wirklich nicht, wie euch das geht.
Euch? Ihr? Wer soll das sein?
Damit meine ich Menschen, die ebenfalls versuchen, bewusst älter zu werden, Dinge nicht einfach so hinzunehmen, sondern so zu leben, wie es wirklich ihnen selbst entspricht, wie es für sie Sinn macht …
Woran orientiert ihr euch?
Darf ich euch mal ein paar Fragen stellen?
Habt ihr auch (also, wie ich ..) das Gefühl, dass beim Älterwerden nichts sicherer wird? Dass es ganz im Gegenteil immer mehr Möglichkeiten, Wege, Alternativen, Denk- und Handlungsansätze gibt?
Mit „Sicherheit“ meine ich vor allem so was wie: Ich bin mir sicher – da geht’s lang. Oder: Das ist richtig – tja: für wen richtig? Für mich, für die Umwelt, für Freunde, ein besseres Miteinander …
Habt ihr früher auch immer gedacht: Diese Sicherheit, also: mein Weg, der ergibt sich mit dem Älterwerden? Durch meine Erfahrungen, die manches entdecken, anderes ausschließen, wenn ich nur genügend achtsam bin … Dann ruckelt sich das alles doch irgendwie zurecht, ich muss es/mich nur angemessen beobachten.
Bedeutet Orientierung etwa Achtsamkeit?
Ich glaube, die Achtsamkeit für meinen eigenen Weg, die hatte ich schon lang, bevor der Begriff zum Modewort wurde. Genutzt hat es mir nicht viel, jedenfalls nicht für meine Orientierung. Denn alles sammelt und mischt sich damit erst recht täglich neu. Unendliche Vielfalt entsteht. Und dann erinnere ich mich auch noch an meine Gefühle, Einschätzungen und Impressionen als Kind, als Teenager … Und es potenziert sich alles noch mal.
Nein: Für mich gilt leider: Achtsamkeit für den eigenen Weg habe ich, nutze ich, halte ich auch für sehr wichtig. Aber Orientierung schafft sie kaum.
Woran orientiert ihr euch?
Vor allem, wenn ihr euch vorgenommen habt, möglichst bei euch selbst zu bleiben, nicht auf alles anzuspringen, jede Mode mitzumachen … Das ist schon lang eine meiner wichtigsten Maximen. Und ich denke, ich halte mich auch daran – Stichwort „Eigensinn„.
Zum Beispiel habe ich Gedanken immer schon am liebsten beim Schreiben entwickelt. Und tue es auch jetzt. Keine Videos, kein Podcast …. Ich nenne es mein Schreibdenken.
Und wenn ich noch mal das Älterwerden in den Blick nehme, stelle ich fest, dass ich mich früher viel unbekümmerter orientieren konnte. Da war das „Jetzt“ viel einfacher. Da habe ich oft gedacht: „Jetzt finde ich genau das richtig. Umorientieren kann ich mich später ja immer noch – und erlaube mir das jetzt auch schon mal…“ Ich glaube, so habe ich sehr lange gedacht.
Das „Jetzt“ und die Orientierung
Vielleicht liegt genau hier der arme Hase im Pfeffer: Inzwischen möchte ich lieber mal an einem Weg festhalten (dürfen). Ja, ich wünsche mir, dass die Dinge im Älterwerden leichter, einfacher werden. Dass ich nicht mehr so viele Grundsatzentscheidungen treffen muss. Einfach nur dem einmal eingeschlagenen Weg folgen.
Würde meine Orientierung besser funktionieren, wenn ich – wie früher – allein das „Jetzt“ noch als Maßstab nehmen könnte? Wenn da nicht diese blöde Mahnung lauern würde: Pass auf, alles ist endlich! Wer weiß, wie lang das noch geht?! Tatsächlich war ich noch nie der Jetzt-erst-recht!-Typ … Hat was Trotziges. Gefällt mir nicht, ist auch wenig eigensinnig. Denn Eigensinn ist meiner Ansicht immer ein Für, nicht ein Gegen etwas.
Es potenziert sich doch immer wieder …
Klar: Meine Selbstständigkeit spielt bei alledem eine wichtige Rolle. Da kann – und muss – ich immer wieder Dinge von Grund auf neu denken. Wäre es anders, wenn ich noch festangestellt wäre? Ich glaube nicht. Denn dann verlagern sich die Fragen in die Zeit des Rentenbeginns…
Das sehe ich zur Zeit bei meinem Mann. Noch muss er fest angestellt arbeiten. Dann wollen wir auch noch unser beider Wünsche, Pläne, Hoffnungen unter einen Hut bringen, lieber heute als morgen … Und schon wieder potenzieren sich die Möglichkeiten.
Ist es eine Luxusfrage?
Natürlich verkenne ich keineswegs den Luxus, der in alldem steckt: Wir haben die Freiheit, die Möglichkeiten und Chancen, Dinge zu betrachten, zu bewerten, zu entscheiden. Wir sind frei, leben, denken und handeln in einer großen Vielfalt. Das ist wirklich ein Privileg, ich weiß es. Vielleicht sollte ich einfach meine Dankbarkeit dafür in den Mittelpunkt stellen. Und die Dinge auf mich zukommen lassen.
Warum kann ich das nicht? Warum ist mir die Orientierung so wichtig?
Natürlich steckt dahinter die Sorge, eine Entscheidung könnte sich als falsch erweisen … Und wäre das mit 63 wirklich so viel schlimmer als mit 36? Oder hat dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit gar nichts mit dem Alter zu tun? Ist es vielleicht etwas, das derzeit in allen Generationen grassiert? Was meint ihr?
Meine Welt ist bunt. Und bleibt es
Bis dahin halte ich mich mal an meinem scheinbar so albernen Eingangssatz fest. Tatsächlich beruhigen mich simple Dinge und Sätze immer sehr: Meine Welt ist bunt. Innen wie außen. In meinen Gedanken, Möglichkeiten, Wahrnehmungen. Mit Blick auf die Menschen in virtuellen wie echten Welten, auf Kundinnen und Freunde, auf alles, was ich so an (kreativen) Möglichkeiten noch habe, was der Rentenbeginn in drei bis vier Jahren für uns bringt, auf die Bücher, die ich hoffentlich noch schreiben kann, auf Hunde und Orte ….
Es ist bunt. Ich bin bunt. Also: offen und weiterhin flexibel. Es gibt wahrlich Schlimmeres!
In eigener Sache
Wer mich, meine Gedanken und auch meine Arbeitsweise besser kennenlernen möchte, dem empfehle ich die Trilogie des Eigensinns. Sie besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.
Text und Bilder: Maria Al-Mana