Kriegsenkel erzählen. Und zwar großartig. Hier: Maria Bachmann

Kriegsenkel erzählen. Und zwar großartig. Hier: Maria Bachmann

Kriegsenkel?! Wie war das noch mal? Wer in der schrecklichen Zeit des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen ist, gilt noch heute als Kriegskind. Und wenn solche „Kinder“ ihrerseits Kinder bekommen, sind sie – logisch – die Enkel. So definiert sich dieses Wort. Und betrifft darum exakt uns, die heute über 50-Jährigen. Doch das ist noch lang nicht alles. Es geht um traumatische Erfahrungen, tiefsitzende Verletzungen. Und die werden weitergeben, unter Umständen noch an Generationen nach uns. Wie gehen wir damit um, wie werden wir damit fertig, wie kommen wir da wieder raus? Maria Bachmann macht es vor – indem sie uns davon erzählt. Und zwar durch und durch aufrichtig. Sie ist Jahrgang 1964, Schauspielerin, Motivations- und Präsenzcoach und Autorin. Und sie motiviert wirklich.

Kein Wort zu viel

Maria Bachmann ist eine wunderbare Erzählerin. Sie kann lakonisch-kurz, einfühlsam-sanft, präzise, im Stakkato und doch stets nah und nachfühlbar erzählen. Nie ein Wort zu viel, jede Art von „Betroffenheitsprosa“ wird man bei ihr vergeblich suchen. Dabei ist sie im äußersten Maß betroffen von dem, was sie in „Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast“ erzählt. Es ist ihre Geschichte. Die Geschichte einer Kriegsenkelin, die sich so lang mit dem Erbe ihrer Eltern quält, bis sie fast daran zerbrochen ist. Und das ist (leider) ganz typisch.

Die Chance der Kriegsenkel

Das „leider“ habe ich darum in Klammern geschrieben, weil genau dieser Prozess auch eine ungeheuer große Kraft in sich birgt. Maria Bachmann nutzt am Ende diese Chance: Sie versöhnt sich mit ihren Eltern – die sie eigentlich immer geliebt hat. Doch diese Liebe tat ihr einfach nicht gut – sie wollte und musste sich ihren eigenen Weg suchen. Und der führte vor allem heraus aus der engen Welt der Eltern, aus Katholizismus, ständiger Gefühls-Beherrschtheit, dem Fehlen von Berührung, „Nestwärme“ und/oder Lob. Weg von der „Mainhölle“, einem Steinbruch im Ort ihrer Kindheit – was für ein grandioses Bild! Und auch das ist nicht mal „erfunden“: Unter den persönlichen Fotos im Innenteil der Buchklappe ist sie abgebildet, die Mainhölle. Überhaupt ist dieses Buch äußerst liebevoll ausgestattet, fast alle Fotos stammen aus dem persönlichen Bildfundus von Maria Bachmann.

Manchmal geht es einfach nicht anders …

Was auch zum Erbe ihrer Eltern gehört, sind nie hinterfragte Überzeugungen wie: „Wir haben nichts, wir sind nichts, wir können nichts.“ Und natürlich: „Wir dürfen nichts wollen, nichts verlangen!“ Keine Freunde, kaum andere Familienmitglieder, keine sozialen Netze weit und breit. Ganz klar: Ein neugieriges, aufgewecktes Kind mit viel Fantasie und einer unbändigen Sehnsucht nach DER Welt muss da raus. Das ist alles andere als einfach – doch genau das hat Maria Bachmann geschafft, genau das beschreibt sie.

Hätte sie ihren Weg nicht gefunden, würde sie sich vermutlich heute noch aufreiben im ständigen Gefallen-Wollen, in Anpassungsversuchen einerseits und der Rebellion dagegen andererseits. Würde es allen recht machen wollen, ihre Lieblingsfarbe je nach der Lieblingsfarbe ihres Gegenübers permanent ändern. Ja: So etwas sind typische Verhaltensweisen von Kriegsenkeln … Ich fürchte: Wir kennen das alle – zumindest teilweise.

Wichtig: unsere „gefühlte Wirklichkeit“

Als sie es dann geschafft hat, ist ihr vor allem ein Gedanke wichtig: „Was für jeden [von uns] zählt, ist die gefühlte Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, wie wir sie erinnern. Sie ist es, die unsere Gegenwart und unsere Zukunft beeinflusst.“ Da bin ich ganz bei ihr: Diese „gefühlte Wirklichkeit“ jedes und jeder Einzelnen, das ist es, was uns alle ausmacht: gemeinsam wie auch jeweils als Individuum. Diese Wirklichkeiten sollten wir uns gegenseitig erzählen. Uns nicht genieren für „Jungendsünden“ – denn die waren wichtig und richtig, konnten oft gar nicht anders sein als genauso, wie sie waren. Früher oder später haben sie uns geholfen, waren wichtig bei etwas – das wir vielleicht erst mit großem zeitlichem Abstand erkennen können.

Ja: Es braucht Zeit. Viel Zeit

Das ging auch Maria Bachmann so: Sie wollte dieses Buch schon vor einiger Zeit schreiben, aber „es hat lange gedauert, bis ich genügend Abstand hatte, um klar auf mein Leben blicken zu können.“ Sich diese Zeit auch wirklich lassen zu können, gehört für mich zu dem, was ich unseren Luxus des Älterwerdens nennen würde. Wer das begriffen hat, wird plötzlich auch sehen können, was er oder sie im Leben schon alles geleistet hat. Auch wenn es – nach „herkömmlichen Maßstäben“ – vielleicht gar nicht danach aussieht.

Lasst uns uns unsere Geschichten erzählen!

Denn wir Kriegsenkel sind nicht gerade berühmt dafür, dass wir unbeirrt erfolgreich unseren Weg gehen. Wir haben sehr viel häufiger „krumme“ Lebensläufe als andere Generationen. Ich finde: Das ist ein Kapital, eine Chance. Denn wir haben etwas zu erzählen, mussten oder wollten uns immer wieder kopfüber in neue Wege und Themen stürzen, sind nicht selten von Unruhe getrieben, haben eine ganz eigene Empathiefähigkeit – die fast immer ihre Wurzeln in der Sorge um unsere Eltern hat. Das verbindet uns. Einerseits. Andererseits haben wir alle unsere je eigene Geschichte, eben unsere „gefühlte Wirklichkeit“. Ich bin Maria Bachmann sehr dankbar für diesen Begriff. Wie für das ganze Buch. Denn es macht ganz einfach Mut: Ja, auch wir können glücklich werden! Oder vielleicht: Gerade wir. Weil wir die „andere Seite“ gesehen, erlebt, oft regelrecht erlitten haben.

Ich würde mir wünschen, noch viel mehr solcher Geschichten zu lesen: ehrlich, unverstellt, mit Herzenswärme geschrieben. Genau das ist dieses Buch, darum: absolute Leseempfehlung!

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Maria Bachmann liest

Wer Maria Bachmann live auf Lesetour erleben möchte: Ab September 2019 tourt sie mit diesem Buch durch Deutschland – und liest daraus. Bitte mal selbst nachsehen: Die Termine stehen auf der Verlagsseite von Droemer Knaur hier.

Und hier kann man das Buch beim Verlag direkt bestellen, es lässt sich auch ein bisschen drin blättern, mein Titelfoto vom Buch stammt auch von dort – danke an Dromer Knaur (auch für das Rezensionsexemplar …)!

Auch Unruhe kann verbinden …

Ganz persönliche Abschlussbemerkung: Maria Bachmann hat mich angeschrieben. Und sie betonte von Anfang an die „Unruhe“. Was mich ungeheuer freut, denn es zeigt mir, dass es eine Art unsichtbares Wurzelwerk gibt, in dem wir Kriegsenkel vermutlich immer schon miteinander verbunden waren. Auch wenn sie – wie ich – viel zu lange das Gefühl hatte: „Ich stehe mit all dem, was ich einfach nicht verstehen kann, ganz allein in der Welt!“ Nein, tun wir nicht. Hat eine ganze Weile gedauert – aber jetzt können wir uns gegenseitig endlich davon erzählen. Das ist für mich ein absolut großartiger Gedanke … und genau das, was ich die ganze Zeit schon unsere „Chance“ genannt habe.

Bitte mehr davon!

Vor allem ist es nicht selbstverständlich. Denn nicht selten liegen da ungeheuer tiefe Verletzungen im Hintergrund. Da ist es ein großes Geschenk, dass es beispielsweise Therapeuten gibt wie Ingrid Meyer-Legrand, die sich mit der „Kraft der Kriegsenkel“ beschäftigen. Für mich war ihr Buch DER Augenöffner für das Thema. Vor allem das Wort „Kraft“ ließ mich von Anfang an ahnen: „Hier bist du richtig!“ Und ich weiß genau: Dies ist nicht das letzte Mal, dass ich über die Kraft der Kriegsenkel schreibe. Maria Bachmann gehört dazu. Und ich freue mich ungeheuer, dass sie mich gefunden hat.

Wer also weitere Tipps hat, Bücher, Geschichten … Bitte her damit! Ich wäre gern eine Art Auffangstelle für all das, was wir zu erzählen haben. Und das dürfte eine ganze Menge sein!

 

In eigener Sache

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Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.

 

13 Gedanken zu „Kriegsenkel erzählen. Und zwar großartig. Hier: Maria Bachmann

  1. Hallo zusammen
    Ich bin Jg 1964, geburtenstark u jede/r irgendwie eine/r von Vielen… und dieses Gefuehl von Schweigen u Nebel u Schuld…ja das haengt ueber dieser Generation u vielen individuellen Biografien. Interessanterweise sind bei mir einige ‚Sommergespraeche‘ beim Austausch ueber diese Kindheiten in den 60er/70er gelandet…ich finde ‚kriegsenkel‘ ein Tueroeffnerwort fuer viele einzelne Erfahrungen einer Generation, die anspruchslos laufen sollte, moeglichst fraglos schuldgefuehle uebernimmt und sich anpassen und zurechtkommen lernt… Bin froh, dass das thema aufploppt!!! Freu mich nach Frau Bode Frau Bachmann bald zu lesen!!!

    1. Liebe Ingrid Frank,

      viel Freunde damit! Ich glaube ja, es ist kein Zufall, dass das Buch von Maria Bachmann das „jüngste“ in der Reihe aller bisher zum Thema erschienenen Bücher ist: Es liest sich wunderbar leicht. Was bei dem „schweren“ Thema ein Kunststück ganz eigener Art ist. Aber vermutlich liegt das zum größten Teil auch an der Autorin … Sie kann so schreiben, dass es „wie aus dem Ärmel geschüttelt“ klingt. Aber Sie wissen ja: Jede Autorin, jeder Autor hat einen eigenen Stil. Und soll ihn bitte auch behalten!!!

      Herzlichen Gruß
      Maria Al-Mana

  2. Ja, Du hast Recht, es gab Probleme mit dieser sprachlosen Generation und auch ich habe eine recht bunte Biografie. Hatte viele Berufe, war oft Quereinsteigerin. Ich hatte nie großartige Unterstützung durch die Eltern. Das hat mich aber auch stark gemacht.
    Auf meinem Blog gibt es einige Beiträge, die dieses Thema behandeln oder zumindest ansprechen. U.a. (https://www.sweetsixty.de/die-generation-60-plus-wie-wir-wurden-was-wir-sind/).
    Danke für dieses Thema, zu dem es sicher noch viel zu sagen gibt.
    Liebe Grüße
    Karin

    1. Liebe Karin,
      ja, ich weiß: In deinem Blog gehst du auch immer wieder auf „Spurensuche“ … Das mag ich sehr – vor allem die Lebenslinien, deine eigene und bei anderen Menschen. Und in dem erwähnten Beitrag bringst du es durchaus auf den Punkt … von Sprachlosigkeit bis zu all den Veränderungen, die wir eigentlich alle kennen. Und ich sehe es wie du: Das ist noch ein längerer Prozess, bis wir all die Geschichten aufbereitet haben. Ein bisschen Sorgen macht mir ja die Tatsache, dass sich offenbar traumatische Erfahrungen für nächste Generationen in die Gene „einschreiben“ können – auch, wenn ich immer noch verstanden habe, wie das konkret gehen soll.

      Ganz herzlich Gruß
      Maria

      1. Manchmal spüre ich dieses genetische Gedächtnis, auch wenn ich – genau wie Du – nicht weiß, wie das funktioniert.
        Wir wissen halt noch sehr wenig über unser Gehirn. Ist alles noch nicht erforscht und das ist vielleicht auch gut so.

  3. Ich habe von dem Begriff „Kriegsenkel“ auch einmal was läuten gehört, aber ich habe mich nie dazu gezählt. Und das, obwohl ich Jahrgang 59 bin!
    Aber wenn ich deine Worte lese, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Klar, meine Eltern haben einer verlorenen Generation angehört. Ich hatte in meiner Generation den Vorteil, dass ich an einem gesellschaftlichen Umbruch habe teilhaben können. Wir durften frech sein, wild und neu.
    LG
    Sabienes

    1. Danke dir, damit reißt du weitere wichtige Fragen an … Wann wird es überhaupt zum Problem, Kriegsenkel zu sein? Muss ja nicht zwangsläufig sein … „frech, wild und neu“ hört sich beispielsweise nicht danach an. Für andere wiederum ist allein die Einordnung schon wichtig/heilsam: „ACH! So ist das – es gibt noch andere wie mich, die immer das Gefühl hatten, anders zu sein/abseits zu stehen, nicht ‚richtig‘ zu sein, nie ‚ankommen‘ zu können!“ Das ist nicht MEIN Fehler, die Ursachen liegen ganz woanders – ich bin absolut kein Einzelfall.“ So ähnlich …

      Ich glaube, das ist ein Prozess, der gerade erst beginnt. Das wirklich Schmerzhafte liegt dort, wo es um Traumata geht. Maria Bachmann beschreibt auch das: Wie sie absolut nicht glauben kann – Ich soll traumatisiert sein?! – es aber von mehr als einem Arzt bestätigt kriegt. Diese Traumata haben ihre Wurzeln bei unseren Eltern … Das ist typisch für die Situation der Kriegsenkel. Und trotzdem betrifft es nicht alle aus unserer Generation. Ich glaube, da gibt es noch vieles zu entdecken/aufzuarbeiten! Und darum habe ich mir fest vorgenommen, an dem Thema „dranzubleiben“.

      Ganz herzlich
      Maria

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