Das Trauma-Buch von Dunja Voos: „Schatten der Vergangenheit“.
Mein Eingangsgedanke mag seltsam klingen: Mich beeindruckt dieses Buch, weil es „nur“ 162 Seiten hat. Das ist vor allem aufgrund des Themas bemerkenswert. „Schatten der Vergangenheit – Trauma liebevoll heilen und innere Balance finden“, heißt es. Und beschäftigt sich mit so gut wie allen Facetten traumatischer Erfahrungen. Vor allem denen, die in frühkindlicher Zeit entstanden sind. Doch Traumata durch Krieg, (sexuellen) Missbrauch, Flucht oder Unfälle finden ebenso Erwähnung wie die vielfältigen Auswirkungen traumatischer Erfahrungen – von der transgenerationalen Weitergabe bis zu Isolation, Depression, Selbstmordgedanken, Bindungs- oder Ess-Störungen und vielem mehr. Die Autorin bleibt bei alledem scheinbar stark an der Oberfläche. Doch das täuscht. Meiner Ansicht nach zeigt sich gerade darin ihr tiefer Respekt vor allen Leiden, die aus Traumata erwachsen sind.
Die Autorin ist Dr. med. Dunja Voos: Ärztin, Psychotherapeutin und Journalistin mit den Schwerpunkten Psychoanalyse und Psychosomatik. Sie informiert außerdem in ihrem erfolgreichen Blog www.medizin-im-text.de/blog regelmäßig über psychische Erkrankungen und hat eine eigene psychotherapeutische Praxis in der Nähe von Köln.
Das Trauma-Buch: fundiert und leicht verständlich
Das Buch, von dem hier die Rede ist, ist beileibe nicht ihr erstes – bei Interesse bitte mal selbst googeln. Wer sich für ihre Themen interessiert, darf stets mit zuverlässigen, leicht verständlich aufbereiteten Informationen und enormem Fachwissen rechnen. Genauso wie bei ihrem „Trauma-Buch“. Womit wir schon wieder bei meiner Eingangsbemerkung sind, dem positiven Erstaunen darüber, dass es ihr gelingen kann, ein derart komplexes Thema wie „das Trauma“ in solcher Kürze aufzubereiten.
Respekt vor Individualität
Der Grund scheint mir simpel – und ist gleichzeitig der Punkt, der mich am stärksten für dieses Buch einnimmt: Dunja Voos hat einen riesengroßen Respekt vor jedem Trauma – und damit natürlich auch vor jedem Menschen, der mit traumatischen Erfahrungen kämpft. Sie betont das bereits im Vorwort: „Tiefsitzende Traumata sind hochkomplex und hoch individuell. Da kann man sich nur mit äußerster Vorsicht und viel Respekt heranwagen. Angesichts des Leids, das so viele Menschen erfahren haben, kommen mir ‚therapeutische Strategien‘ oder ‚Behandlungen nach Anleitung‘ enorm leer vor.“ Ja: Sie schwört auf die Psychoanalyse – und macht daraus auch keinen Hehl. Doch erwähnt sie durchaus auch andere Therapie- und Hilfs-Ansätze, sagt nie mit völliger Ausschließlichkeit, dass ALLEIN Psychoanalyse helfen könne.
Ihr Respekt vor Traumaerfahrungen wurzelt also zum einen in der – sicher richtigen – Annahme, dass Traumata eine absolut individuelle Angelegenheit sind. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie schreibt: „Traumata lassen sich niemals miteinander vergleichen.“ Oder „Das eigene Trauma ist immer das schlimmste.“ Jede Verallgemeinerung, jeder Vergleich und alle Arten von Pauschal-Ratschlägen erübrigen sich damit von allein. Wie kann ich dann überhaupt ein Buch schreiben, das „liebevolle Heilung“ ankündigt? Aus meiner Sicht gerade darum, weil sie nirgendwo allzu tief in Ängste, depressive Schübe, psychische Verletzungen und deren Auswirkungen einsteigt.
Damit dürfen sich alle Betroffenen ernst genommen fühlen. Denn als Therapeutin wie als Autorin sagt sie ‚zwischen den Zeilen‘ ständig: „Ja, du bist einzigartig. Dein Trauma ist individuell.“ Fast scheint mir, als sei allein das schon ein Schritt auf dem Weg zur Linderung des manchmal riesigen Leids. Dabei schafft sie es auch noch, oft schmerzhafte Fragen und Ansätze nicht zu umgehen. Etwa die Frage nach dem „Opferstatus“ traumatisierter Menschen: „Es ist unglaublich schmerzhaft, wenn wir als Opfer lernen, an welchen Stellen wir selbst Täter sind.“ Weiter: Diese schmerzhafte Erkenntnis könne aber auch dafür sorgen, dass „man sich selbst wieder spürt und als wirksam wahrnimmt.“
Wie wir Traumata lindern und eine „innere Balance“ finden können
Im Heilungsprozess – auf welchem Weg auch immer – (und sie bietet verschiedene Wege dazu an) kommt es vor allem darauf an, dass Betroffene „das Gefühl für die eigenen Steuerungsmöglichkeiten und die eigene Selbstwirksamkeit behalten.“ Das schreibt sie zwar vor allem mit Blick auf ihre weitgehende Ablehnung von Medikamenten bei traumatischen Störungen, doch ich liebe vor allem den Satz, der dann folgt: „Der Mensch an sich ist wirksam – aus meiner Sicht viel wirksamer als jedes Medikament.“ Und auch hierin sehe ich einen Grund dafür, dass dieses Buch scheinbar so schmal sein kann: So individuell jedes Trauma auch ist, vielen Prozessen, die dahinterstehen, liegen Mechanismen zugrunde, die für alle traumatiserten Menschen gelten.
Der wichtigste Punkt dabei ist sicherlich die Bereitschaft, sich erst einmal auf sein Trauma und dessen schmerzhafte Folgen einzulassen. Sich damit auseinanderzusetzen, näher hinzusehen … Und auch da liegt das Heilende aus der Sicht von Voos sozusagen schon auf dem Weg: „Die intensive Auseinandersetzung mit dem Trauma führt unweigerlich zu einer Weiterentwicklung und häufig zu einem großen inneren Reichtum.“ Auch, wenn die meisten Traumatisierten diese „Erfahrungswelt“ manchmal am liebsten gründlich und sofort „zerstören“ würden – das betont sie im nächsten Satz.
Nein, sie sagt nie, es sei einfach. Nie, es könne schnell gehen. Sie verspricht auch nirgends, Traumata seien komplett „heilbar“, könnten sozusagen über Nacht verschwinden. Stattdessen redet sie von zwei Ebenen: Auf der einen gibt es die Traumaspuren, die nie ganz vergehen – das ist die Ebene der „Erschütterung“. Auf der anderen Seite aber kann sich Heilung entwickeln. Das sind zwei Ebenen, die „miteinander kommunizieren: Die Erschütterung wird langsam zu einer Ebene, die sich mit mehr Abstand zeigt und daneben wächst eine gesunde Ebene, in der man sich zunehmend einrichten kann.“ Wie bereits gesagt: Wie das gehen kann, dafür gibt sie viele wertvolle Hinweise. Ebenso zu all den Punkten, an und mit denen man einem Trauma überhaupt ‚auf die Schliche kommen‘ kann.
Genau damit ist dieses Buch übrigens auch für Freunde und Angehörige traumatisierter Menschen absolut lesenswert.
Die Leistung dieses Buchs
Ich habe mich für das Buch aus einem speziellen Grund interessiert: Weil in meinen Assoziationsketten Traumata und die psychischen Leiden der sogenannten Kriegsenkel untrennbar verbunden sind. Das ist so, bestätigt auch Dunja Voos, widmet sogar den „transgenerationalen Traumata durch Krieg“ ein eigenes Kapitel. Dennoch war ich beim ersten, eher flüchtigen Blick in das Buch ein wenig enttäuscht. Die „Welt der Kriegsenkel“ spielt da scheinbar nicht wirklich eine Rolle.
Ähnlich wird das vielleicht Menschen gehen, die mit Depressionen oder anderen, sehr konkreten Auswirkungen erlittener Traumaerfahrungen zu kämpfen haben. Erst beim zweiten, gründlicheren Lesen habe ich verstanden, was für eine Leistung dahintersteckt: Doch! Alle sind angesprochen, alle kommen vor, alle dürfen auf Heilung hoffen, die mit Trauma-Auswirkungen durchs Leben gehen müssen. Wirklich alle! Und das erreicht Dunja Voos eben genau dadurch, dass sie NICHT einzelne Menschen sozusagen direkt anspricht.
Sicher: konkrete Beispiele gibt es haufenweise, sehr plastisch und eindrücklich sogar. Aber sie schreibt nie „DIE Kriegsenkel“ oder „DIE Depressiven“. Überhaupt ist sie in all ihren Aussagen sehr vorsichtig … Da kommen viele „vielleichts“ und „möglicherweise“ vor. Und das ist gut so: Sie kommt niemandem unangenehm nah, stellt keine mutmaßenden Behauptungen über einzelne Gruppen traumatisierter Menschen auf … Nein: Trauma ist Trauma. Jedes davon ist ernst, muss ernst genommen werden. Damit erreicht sie ALLE Betroffenen. Und das ist wirklich eine Leistung!
Mehr über das Buch
Wer mehr erfahren will, kann das bei „Medizin im Text“ hier. Das Buch bestellen? Zum Beispiel über amazon hier.
Beide Fotos: https://www.medizin-im-text.de/, mit freundlicher Erlaubnis der Autorin. Die mir auch das Buch überlassen hat. Danke!