Rampensau oder graues Mäuschen?

Rampensau oder graues Mäuschen?

Es ist schon länger her, da saß ich in einem gut besuchten Seminar. Wir sollten alle einen Test machen: „bin ich extrovertiert? Oder introvertiert?“ Es war kurz vor der Mittagspause. Und nach etwa zehn Minuten wussten alle anderen, ob sie eher „Rampensau“ oder „graues Mäuschen“ sind. Wussten sie vermutlich auch vor dem Test schon…. Ich dagegen war ziemlich gespannt auf das Testergebnis. Ich wusste es nämlich nicht.

Irgendwann saß ich allein im Seminarraum. Die andren waren beim Mittagessen. Und ich machte den Test, wieder und wieder. Denn es war zum Haareraufen: Immer, wirklich immer, war mein Testergebnis 50:50. Bedeutet: Ich bin gleichermaßen introvertiert wie extrovertiert. Ich wär so gern eindeutig. Das eine ODER das andre. Bin ich aber nicht. Inzwischen hab ich akzeptiert, dass es so ist. Dass sich das sogar in ganz vielen Lebensbereichen bewahrheitet. Ich kann stundenlang allein am Meer sitzen, laufen, träumen. Und ich liebe es, unter Menschen zu sein, kann mich problemlos mit Fremden unterhalten. Ja, es öffnet mir auch viele Möglichkeiten. Ich muss mich nicht zwanghaft zu zwei Stunden Yoga täglich verdonnern, um zur Ruhe zu kommen. Und ich hatte nie Probleme in meinem Job als Journalistin.

Sichtbar: Hexe
Rampensau? Graues Mäuschen? In diesem Fall beides falsch. Karneval!

Das Themenspektrum des Unruhewerks

Warum erzähle ich das hier? Zum einen, weil es das Themenspektrum des Unruhewerks begründet. Dieses Blog will streitbar sein. Aber auch den Bereich abdecken, den ich „Entschleunigung“ genannt habe. Das kann Kultur sein, das Lesen und Flanieren, Staunen und Hören. Träumen, Nachdenken, Philosophieren. Streiten möchte ich mich über gesellschaftliche Fragen, über die Rolle (und eben die „Sichtbarkeit“ – oder nicht) von Älteren in allen Lebensbereichen – von der Mode über das Internet bis zu Arbeitswelt und Politik. Und dabei möchte ich am liebsten alle „mitnehmen“, die Rampensäue wie die grauen Mäuschen….

Und zum anderen halte ich diese Spanne zwischen „extrovertiert“ und „introvertiert“ durchaus für einen Bereich, in dem Menschen mit längerer Lebenserfahrung viel mehr zu sagen haben als Jüngere: Sei es, dass sie beschlossen haben, sich zu bestimmten Themen bewusst zurückzuhalten. Sei es, dass sie erkannt haben: Ich hab’s nicht (mehr) nötig, auf die Meinung andrer zu hören – ich mach, was ich will! Selbst, wenn das manchmal „extravagant“ aussieht…. Das ist der Bereich „Erfahrung“ hier. Der natürlich auch berufliche Qualifikationen und Einsichten beinhaltet. Aber: Der Rampensau in mir geht es schon ziemlich gegen den Strich, dass das Wort „Erfahrung“ heute fast ausschließlich im beruflichen Kontext verwendet wird. Wir „Älteren“ haben doch so viel mehr zu bieten! So viel mehr erfahren, erlebt, gelernt, eingesehen, neu definiert…..

Niemand ist lebenslang auf nur EINE Rolle festgelegt

Und noch mal zu der Sache mit der Rampensau und dem grauen Mäuschen: Ich bin überzeugt davon, dass es viele Menschen gibt, die im Lauf ihres Lebens mal das eine waren, dann das andre wurden…. Niemand ist lebenslang auf nur eine dieser Rollen festgelegt. Solche Geschichten finde ich unglaublich spannend! Und sie gehören unbedingt zu dem, was ich unter „Erfahrung“ verstehe. Wer so eine Geschichte erzählen mag: Nur zu! Die Rampe ist für alle offen! Auch für Mäuschen….

2 Gedanken zu „Rampensau oder graues Mäuschen?

  1. Hach, Du bist ein Flex-Intro wie ich, also gleichermaßen intro- wie extrovertiert. Auf diese Definition bin ich durch ein Interview bei YouTube mit Dr. Sylvia Löhken, Sprachwissenschaftlerin und Coach, gekommen. Wie das so ist, weil ich irgendeiner Spur folgte und mich wild durch’s Internet klickte. Nach dem Interview habe ich mir sogleich ihr Buch „Leise Menschen – starke Wirkung“ zugelegt. Es ist ein spannendes Arbeitsbuch zur Selbstreflexion.

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