Mein Jahresrückblick 2020: ich suche. Oder: mit Christine Cazon bis ans Meer

Mein Jahresrückblick 2020: ich suche. Oder: mit Christine Cazon bis ans Meer

Mein ganzes Leben lang habe ich mich als Suchende gesehen. Und das hört sicher nicht wegen einer Pandemie plötzlich auf. Obwohl – oder weil? – ich in dem Jahr, das jetzt geht, unglaublich viele Menschen gesehen habe, die ebenfalls auf der Suche zu sein scheinen. Manchmal beinah kopflos, oft schwer irritiert, fast immer auf die ein oder andere Weise orientierungslos. Wenn ich sie (virtuell …) eine Weile nicht gesehen hatte, ahnte ich: Sie verstecken sich, sind angeschlagen, vielleicht sogar verletzt. Eher psychisch als physisch verletzt. Suchen Ruhe, Frieden. Oder hoffen, den Optimismus, der sich spätestens nach vier Monaten Pandemie verflüchtigt hat, die Zuversicht, die Hoffnung wieder zu finden. Also schon wieder: Suche!

Das ist wenig erstaunlich, denn die Sache mit der Suche hat es in sich. Sie ist eine Art Dauerbewegung, ein Perpetuum Mobile: einmal in Bewegung gesetzt, hört das so schnell nicht wieder auf. Wen DAS Suchen auf diese Art erwischt hat, ist außerdem schwer suchtgefährdet. So sehr, dass es schlicht nicht in Frage kommt, diese Suchbewegung jemals wieder zu beenden. Nur: Wer das alles nicht weiß, die Sache mit der Dauerbewegung und der Suchtgefahr, läuft auch noch Gefahr, bei seiner Suche ständig enttäuscht zu werden. Such-Expert:innen wissen: Früher oder später gilt es, eine Entscheidung zu treffen. Will ich, dass diese Suchbewegung mein Leben bestimmt? Oder will ich, dass das möglichst bald aufhört?!

Wenn ich oben von den „unglaublich vielen Menschen“ geschrieben habe, die ich (virtuell) mit ihren Suchbewegungen beschäftigt vermute, bin ich selbst natürlich mindestens fünf dieser Menschen … Der Rest besteht aus meinen seltsamen Antennen, die oft genug Schwingungen anderer Menschen auf- und annehmen können (sich ab und zu allerdings auch irren …) Und einige Menschen habe ich wirklich suchend und verwirrt gesehen.

Suche ist Bewegung. Suchen-Müssen lähmt

Also: Will ich, dass diese Suchbewegungen mein Leben bestimmen? Oder will ich, dass die endlich mal aufhören? Ich habe mich vor langer Zeit für Ersteres entschieden. Denn: Suche ist ja immerhin Bewegung. Ich folge möglichen Fährten, nehme Spuren auf, lese und laufe. Suchend. Das entspricht meinem Rhythmus. Aber nie, niemals nicht, nie, soll jemand suchen MÜSSEN: Es gibt kaum Schrecklicheres als die Suche nach verlorenen Schlüsseln, einem perfekt sitzenden BH oder dem mal wieder ausgebüxten Kater. Das sind natürlich eher banale Beispiele. Es gibt wesentlich schlimmere Dinge, nach denen Menschen suchen müssen. Aber die Beispiele sind schon schlimm genug: Solches Suchen-Müssen lähmt, macht fast immer hilflos, wütend, verzagt, ratlos. Oft genug all das gleichzeitig …

Bis 2020 wusste ich nicht, dass dieses scheußliche Gefühl noch getoppt werden kann. Nämlich dadurch, dass man vielleicht nicht mal wissen könnte, WAS genau man denn sucht. Einen Impfstoff, gleichgesinnte Menschen, mein „altes Leben“ zurück, eine Umarmung (besser mehrere …), Orientierung, ein Lächeln ohne Mund-Nasen-Schutz, Verständnis, Nähe, Sicherheit oder die kaum definierbare „Normalität“???

Wann beginnt es wehzutun?

Ja, ich weiß: Die Aufzählung da oben ist reichlich schwammig. Und doch habe ich 2020 all diese Suchmöglichkeiten intensiv verfolgt, ersehnt, im Auge gehabt, nur allzu gut verstanden – wenn ich sie bei anderen sah. Oder sehr aktiv geteilt. Virtuell wie mit meinem ganz realen Erleben, meinen Gefühlen. Und meiner Ratlosigkeit. Alles sehr konkret, trotz der „Schwammigkeit“. Genau das gab meinem Suchen eine neue Qualität von Hilflosigkeit: Was zum Teufel suche denn nun eigentlich?! Das hat sich mir regelrecht eingebrannt. Und dann musste ich auch noch dem Corona-Tod fast hautnah in die Augen sehen, in Gestalt einer verzweifelt traurigen Witwe und zwei Jugendlichen, die jetzt keinen Vater mehr haben. Das wehte am Telefon, im Netz und per altmodischer Post zu mir her – real dabei war ich nicht. Doch das war vielleicht sogar noch schlimmer. Ganz sicher tat es sehr weh.

Ausgerechnet in diesem schrecklichen Jahr wurde ich auch noch 60. Und meine (seit rund vier Jahren geplante) Trilogie des Eigensinns wurde Realität – jedenfalls die ersten zwei Bände. Beim ersten Band hatte ich noch nicht mit der Realität der Katastrophe gerechnet, die folgen sollte. Das Buch erschien exakt an dem Tag, an dem die WHO der Pandemie öffentlich einen sehr realen Namen gab. Pandemie eben. Weltweit. Das zweite Buch konnte und sollte nicht mehr warten … Es erschien im Dezember. (Wer mehr darüber wissen möchte: hier lang.) Seitdem suche ich nach neuen Wegen, Leser:innen zu finden.

Und was könnte helfen?

Just im Dezember flog mir auch das Buch einer Frau zu, der ich mich vorher schon ziemlich nah gefühlt hatte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie groß diese Nähe wirklich war! Auch sie würde ich eine Suchende nennen. Eine, die nur wenig „vernünftige“ Haltepunkte auf dem Weg ihrer Suche kennt. Oder einfach nicht akzeptiert, sollten ihr solche Punkte wider Erwarten doch mal über den Weg laufen. Bestimmt nicht sofort, später vielleicht dann doch, vielleicht ganz anders als ursprünglich geplant…

Sie suchte das Meer, suchte das Glück – und fand sich selbst.  Das Buch, das aus dieser (vermutlich noch lange nicht beendeten) Suche entstand, sollten alle Menschen lesen, denen das Suchen – und die Sehnsucht – nicht fremd sind.  Die irgendwie immer ahnten: Da fehlt was! Aber nie wussten, was das sein könnte. Die ungern stehenbleiben, älter werden – und immer noch nicht stehenbleiben wollen. Sie alle dürften – wie ich – ziemlich schnell verstehen: Christine Cazon ist eine von uns! Woran auch immer wir das festmachen … Es könnte ziemlich viele Gründe dafür geben. Einer davon ist sicher, sich der Generation der Kriegsenkel zugehörig zu fühlen. Nicht unbedingt rein altersmäßig, sondern eher aufgrund bestimmter Verhaltensweisen … Wer dazu gehört, weiß sicher sofort, was ich meine.

Was mich aufgefangen hat

Christine Cazon soll am Ende meines Jahresrückblicks stehen. Denn in gewisser Weise hat sie – besser gesagt: ihr Buch – mich aufgefangen. Wer allzu sehr im eigenen Such-Taumel ist, dem kann es sehr helfen, einem ebenso stark wirbelnden Gefühl wie dem eigenen gegenüber zu stehen. Wenn ich hier jetzt anfangen würde, die wichtigsten Themen des Buches aufzuzählen, könnte es schnell banal klingen. Denn diese Themen treiben ziemlich viele Menschen um. Aber die Suche von Christine Cazon hat – zumindest für mich – eine solche Intensität, dass ich ganz einfach „gepackt“ davon bin. Ich weiß noch nicht mal, ob dieses Buch – objektiv betrachtet (sollte es so was überhaupt geben!) – ein „gutes Buch“ ist. Das zu wissen, finde ich aber auch völlig unnötig. Denn endlich hab ich mal wieder – nach so langer Zeit – eine feste Gewissheit: Diese Lektüre hat mich meinem eigenen Such-Strudel, der 2020 besonders schlimm war, entrissen. Und das ist einfach nur gut! Danke, Christine!

Und euch allen, die ihr mir bis hierher gefolgt seid, in diesem Text, in diesem Jahr … DANKE!

Möge das nächste Jahr ein besseres, ein leichteres, ein glücklicher bei uns ankommendes Jahr werden!

Die Sache mit dem Glück

Was ich nach wie vor schön finde, bestätigt auch Christine Cazon am Ende ihres Buches: Älterwerden hilft! Eine ihrer Erkenntnisse ist, dass sich DAS Glück nie am Ende irgendeines Wegs befindet, als sei es nur ein Ziel, das man ins Navi eingeben muss. Nein: „Es liegt in der Art und Weise, wie ich den Weg gehe“. Als sie sich das erste Mal mit solchen Fragen auseinandersetzte, war sie noch recht jung und fragte eine Therapeutin, wie lang es denn wohl dauern werde … Ob das Glück dann am Meer liegen muss, war eine Frage, die sie damals gar nicht gestellt hat, aber im Buch beantwortet.

Cazons Résumé: „Wenn die Therapeutin mir gesagt hätte, dass es mein Leben lang dauern würde, hätte ich es damals nicht ertragen.“ Heute kann sie es. (Und ist mit ihrem Blog au fil des mots – nur der Name ist französisch, sie schreibt dort deutsch – übrigens auch bei den Blogs50plus vertreten …) Ihr Weg war die nur scheinbar einfache Erkenntnis: Das Glück ist in mir, nirgendwo sonst. Doch ich muss es sehr real spüren können, sonst stimmt es noch nicht so ganz … Und genau das kann den Weg SEHR lang machen.

Das war jetzt eine bewusst simple Zusammenfassung. Doch hinter diesen Sätzen steckt so viel mehr! Da hilft nur eins: Buch lesen!

 

Foto: https://www.kiwi-verlag.de

 

Ich freue mich, wenn ihr diesen Beitrag in die Welt tragt ... danke!

2 Gedanken zu „Mein Jahresrückblick 2020: ich suche. Oder: mit Christine Cazon bis ans Meer

  1. Liebe Maria,
    danke für Deine Worte, für Deinen Buchtipp und für Deine nimmer endende Glückssuche. Ich „verfolge“ Dich schon seit Jahren, mal mehr, mal weniger präsent als Bloggerin. Immer, wenn ich etwas von Dir sah, habe ich Deine unerschütterliche Energie bewundert, Deine Arbeitswut (darf ich das so nennen?), Deine Unruhe und Deine Kreativität. Für mich ist es wohltuend, das zu sehen, denn – auf der Suche – gibt es viele Fragen nach dem Sinn. Dann kommt es zum Innehalten und bei mir manchmal zum Arbeitsausfall. Du hälst dagegen, ich weiß, und das schätze ich.
    Alles Liebe fürs neue Jahr Ulrike

    1. Liebe Ulrike,

      Deine Worte tun einfach nur gut. Vielen Dank dafür! Ja, auch ich begegne Dir online immer mal wieder – stets mit positiven Gefühlen. Doch es erstaunt mich auch immer wieder aufs Neue, wie sich in all der Informationsfuelle genau die Menschen „treffen“, die was miteinander anfangen können… Auch das hat was mit dem Suchen zu tun. Mit Sinn sowieso.

      Ich wünsche dir das Allerbeste!

      Herzlichen Gruß
      Maria

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