Lebensentwurf: viel Freiraum mit kleinem Bus

Lebensentwurf: viel Freiraum mit kleinem Bus

Angelika Bungert-Stüttgen ist die Freiraumfrau. Als solche ist sie mir im Netz schon oft begegnet. Und jetzt habe ich auch ihre Geschichten „Aus dem Freiraumbus“ gelesen. Das Buch hat den Untertitel“ Vom Aufbrechen und anders Ankommen“.

Natürlich hat mich das interessiert. Denn allein „anders ankommen“ klingt ja schon fast nach Eigensinn. Darum war ich sehr gespannt auf Angelikas Aufbruch.

Eigensinn, Offenheit. Und Webkunst

Das Buch ist ein Mehr-Perspektiven-Unternehmen. In verschiedener Hinsicht. Denn als sie endlich ihren kleinen Bus hat, fährt Angelika nicht nur einfach durch die Gegend. Nein, es geht darum, Arbeit und Leben verweben zu lernen. Ich würde fast sagen: Mit diesem Buch ist ihr ein Stück Webkunst gelungen. Denn sie bindet immer auch Besuche bei Kundinnen, neue Begegnungen mit online schon länger bekannten Menschen ein. So zum Beispiel der Podcast in den Weinbergen, der sie zu den Macherinnen des Eigenstimmen-Podcasts führt. Die beschreibt sie so: „Sie gehen ihren ganz eigenen Weg entlang ihrer Leidenschaften. Für das, was ihnen wichtig ist und manchmal auch entgegen aller Widerstände von außen.“

Das entspricht fast schon meiner Grunddefinition von Eigensinn: sich neue, eigene Wege suchen. Und das verfolgen, was für uns selbst Sinn macht.

Es gibt ihn, den Freiraum. Und er zeigt sich auf unterschiedliche Weise. Offenheit gehört dazu. Begegnungen noch und nöcher. Anfangs eher ungeplant. Später sehr bewusst, bei Treffen, die sie gemeinsam mit Gastgeberinnen in ganz Deutschland initiiert. Tischgespräche nennt sie das. Und das geht so: Eine meist bisher nur virtuell bekannte Freundin lädt andere Menschen an ihren Tisch ein. Inklusive Freiraumfrau. Oft gibt es ein Thema, zu dessen Betrachtung die Menschen sich gemeinsam an den Tisch setzen. Beispiel: Christine in Oberhausen: „Fang bei dir selbst an und stelle dich zutiefst ehrlich deinen Herausforderungen“. Das sei die Essenz des allerersten Tischgesprächs gewesen, erzählt Angelika. Ihr Fazit: „Mir tat es gut, in diesem liebevollen Setting über die Engstellen auf meinem Freiraumfrau-Weg zu berichten. Und damit kann ich die Gäste ebenfalls zur Offenheit ermutigen.“

Offenheit ist wichtig. Und es ist klar: Ein bisschen Mut gehört immer mit dazu. „Denn es braucht Mut, sein Herz auf dem Weg zu einem maßgeschneiderten Leben in die Hand zu nehmen.“

Maßgeschneidert. Verwoben. Lustigerweise fallen mir jetzt erst genau diese Begriffe auf. Webkunst eben.

Essenzen. Und Wasser

Im Buch wird von all den Begegnungen in Form kleiner Geschichten erzählt. Die jeweiligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Tischgesprächen und anderen Treffen werden meist nur mit Vornamen genannt. Dahinter ein Sternchen. Ergänzungen gibt es auf Angelikas Webseite. So erspart sie es sich, im Buch über Lebensstationen, Merkmale und Arbeitsbereiche der Menschen lang und breit zu berichten, die sie auf ihren Fahrten trifft. Und konzentriert sich auf die Essenz der Treffen. Auf die Essenz der Fahrten. Auf die Essenz der Geschichten.

Wasser ist fast immer dabei. Sie liebt das Wasser, speziell die Ostsee. Und so ganz nebenbei erfahren Menschen, die eine Vorliebe für Camping haben auch einiges über Stellplätze oder schöne Strände. Anfangs größtenteils in Deutschland, später auch in Skandinavien, Frankreich und Spanien.

Immer wieder: das Verweben von Arbeit und Leben. Vermutlich kein Zufall, dass Angelika Bungert-Stüttgen darauf so großen Wert legt. Schließlich ist sie von Haus aus Innenarchitektin, inzwischen eher „Mentorin für Freiraum“, zeichnet viel und hat auch schon mal einen Comic-Biografie publiziert.

Kreativität und Freiraum

Kreativität ist sicher einer der Hauptantriebe dieser Frau, die seit zehn Jahren einen Großteil ihres Lebens im Freiraumbus unterwegs ist. Weil sie den Freiraum braucht. Weil ihre Kreativität anders ge- und erlebt werden kann, wenn sie unterwegs ist. Weil sie sich allzu engen Grenzen nicht fügen will.

Klar ist aber auch: So etwas funktioniert nicht von heute auf morgen. Auch das wird Buch deutlich. Angelika ringt immer wieder mit dem, was ihr gut tut und was nicht. Geduld sei nicht ihre starke Seite, schreibt sie. Aber auch, dass sie merke, wie gut es ihr (manchmal) tut, abzuwarten: Was alles für Gedanken aus ihr „herauspurzeln“, wenn sie im Freiraum unterwegs ist. „Das ist für mich etwas Neues, Ungeübtes“. Und dann ist sie „überrascht, wie produktiv“ sie dabei ist. Denn nach und nach lernt sie, unterwegs Aufträge von Kundinnen anzunehmen, Angebote abzugeben und natürlich die Aufträge auszuführen. Remote working also. Das gehört zum Freiraum.

Älterwerden. Und Hochsensibilität

Ihre Arbeitssituation ist nicht der einzige Grund, aus dem sie so häufig mit ihrem Bus unterwegs ist. Eher dezent berichtet sie auch von ihrer Hochsensibilität, beziehungsweise von der Frau, die sie darauf erst aufmerksam gemacht hat. Das war Sabine Dinkel. Denn: Wer „Freiraum“ sagt, sollte natürlich auch immer hinterfragen wovon er oder sie sich abgrenzen will. Das ist meine Überlegung dazu. Scheint mir logisch.

An dieser Stelle spielt auch das Älterwerden eine Rolle. Über eine Interviewpartnerin schreibt Angelika, dass sie erkannt habe, wie wichtig es ist, immer wieder zu hinterfragen, was wir konkret brauchen. Um uns eben Freiraum zu schenken. Unseren Freiraum – mit Bus oder ohne. Und gleichzeitig die „Wurzeln unserer Familiensysteme zu achten. Diese besondere Gradwanderung unterscheidet uns von den jungen, digitalen Nomadinnen. Die frei und ungebunden ans andere Ende der Welt reisen. Wir leben das Sowohl-als-auch. Wir wissen, dass wir die Seelen stärken, wenn wir mit unseren rollenden Schneckenhäusern auf Reisen gehen.“ Überschrift: Digitale Teilzeitnomadin. Wahr ist: ältere Menschen haben oft Familie. Das wirft andere Schlaglichter auf den Freiraum als bei Menschen, die (noch) keine Familie haben.

Tatsächlich zelebriert Angelika Bungert-Stüttgen jeden Geburtstag in und mit ihrem Bus. Den 50. – im Jahr 2015 – nennt sie ihren „weltbesten“. Dabei entdeckt sie die Leuchttürme …

Ein besonderer Spagat ist sicher auch, dass sie – wie bei klassischen Familienreisen – nicht selten gemeinsam mit ihrem Mann im Freiraumbus unterwegs ist. Das hat mich überrascht. Die Autorin möglicherweise auch. Betont sie doch, wie wichtig ihr die innere Abgrenzung ist. Freiraum muss also immer wieder neu geschaffen werden, Abgrenzung gelingt vielleicht nach innen, schwerer nach außen. Will sie allerdings (meistens) auch gar nicht. Davon zeugen all die Begegnungen mit anderen Menschen.

Mut. Und Zeichenkunst

Es ist ein ständiges Ringen, sich  Freiraum zu schaffen. Dabei hilft ihr immer wieder das Wasser. Manchmal ein Leuchtturm. Sternenächte, Eisschwimmen,  die innere Balance, Qigong, das Zeichnen. Das Sehen von Farben. Und Schweifen-Lassen von Gedanken. Oft arbeitet sie gezielt Punkte von ihrer „Löffelliste“ ab, Zahlen sind ihr auch wichtig …

Manchmal wird sie sehr deutlich. Und macht klar, welch große Überwindung es kostet, immer wieder aufzubrechen. Wie viel Mut dazu gehört, wie aufwühlend es sein kann, allein unterwegs zu sein: „Ich begegne mir selbst auf intensive Weise“, schreibt sie etwa während der Coronazeit. Auch Gefahren und Unfälle können vorkommen. Und kommen vor.

Das Buch skizziert zehn Jahre dieser Reisen. Und wirkt oft wie eine impressionistische Skizze: Hunderte von Landschaften, die der Freiraumbus nur gestreift, wo sich das Unternehmen Freiraum vorübergehend Platz geschaffen hat oder wo Angelika immer wieder hingefahren ist, Station gemacht hat. An Gartenpforten anderer Menschen geparkt hat, Tische, zu denen sie eingeladen wurde. Oder die Stufen vor ihrem kleinen Wohnmobil, auf denen sie meistens sitzt und schreibt oder zeichnet. Auch Gedichte finden ihren Raum. Genau: hingeworfene Skizzen einzelner Stationen, manchmal eher flüchtig, manchmal recht intensiv. Gleichzeitig immer wieder ein neuer Versuch, in den Gedanken dahinter den Antrieb, das Eigene, das In-Frage-Stehende, die Herausforderung, das Ankommen, die Heimat auf Zeit, die eigenen „Herzensthemen“ mit möglichst leichten Pinselstrichen einzufangen.

Buchcover: Geschichten aus dem Freiraumbus von Angelika Bungert-Stüttgen

Angelikas Buch

ist erschienen bei tredition. Kann dort auch bestellt werden – am besten einfach auf das Bild klicken. Ist aber auch überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

  • ISBN: 978-3-384-19301-8
  • Seiten: 208

In eigener Sache

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In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.Drei Buchcover auf einen Blick: Trilogie des Eigensinns, Bücher über Eigensinn, Eigensinn, Schreiben einer Trilogie, eine Trilogie schreiben, Maria Almana, gelebter Eigensinn, Mein Kompass ist der Eigensinn, Wer schreibt darf eigensinnig sein,

In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.

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