Interview mit Gisela Enders: Workbook „Aktiver Ruhestand und Debatten zu „Boomern“
Ganz neu auf dem Markt ist das Workbook „Aktiver Ruhestand – Wie der Weg dorthin gelingt“ von Gisela Enders, Herausgeber: Menschen voller Energie e.V.
Es ist ein 95seitiges Arbeitsbuch, mit dessen Hilfe sich die Phasen des Ruhestand planen lassen. Daraus ergibt sich ein Modell, dessen Phasen sind: „Honeymoon“ – „Krise“ – „Neue Suche und Experimente“ – „Ankommen“. Doch die Autorin schreibt ausdrücklich: „Modelle müssen nicht auf alle Menschen passen“ und betont, dass die Phasen durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden können. Wichtigstes Ziel des Modells ist es, Orientierung zu bieten. Und das geschieht über Zieldefinitionen in unterschiedlichen Lebensbereichen, Themenvorschläge zum jeweiligen Bereich, Listen, Anregungen, Ideen, Checkliste, grafische Orientierungen und Notizmöglichkeiten, Fragelisten und vieles mehr – alles grafisch übersichtlich aufbereitet.
Die wichtigsten Themenbereiche sind: Aktivitäten und Engagement – Finanzen – Wohnen – Soziale Kontakte – Sorge und Vorsorge. Zu alldem gibt es jeweils klare, praktische Tipps, Aufgaben und die Aufforderung, einen Aktionsplan zu erstellen. Bestellt werden kann es beispielsweise bei bod und überall sonst, wo’s Bücher gibt. ISBN:-13: 9783819230868.
Fazit: Ein klar gegliedertes, nützliches Arbeitsbuch, das durchaus alle, die es benutzen, zu „ihrem Workbook“ machen können. Vielleicht lässt es sich ja auch gut in (kleinen) Gruppen nutzen – denn manchmal könnte ja auch eine Diskussion sinnvoll sein, um bestimmte Themen noch zu vertiefen. Das werde ich gleich die Autorin noch fragen …

Aktiver Ruhestand: Gisela Enders. Die Autorin
Gisela Enders begleitet als Coach und Trainerin Menschen in Transformationsprozessen. Sie ist 1967 geboren und schreibt auf ihrer Website, in ihrer Arbeit fühle sie sich „berufen, Menschen dabei zu begleiten, ein für sie passendes, tolles Leben zu finden und sich zu erlauben, dieses zu leben.“ Dazu gehört beispielsweise auch, dass sie im Rahmen ihres Geldcoachings immer wieder Menschen dazu motiviert, gut für ihre Rente vorzusorgen. Genau darüber hat sie auch schon Bücher geschrieben.
Sie ist auch ehrenamtlich sehr engagiert, ist Vorsitzende des Haushaltsausschusses von Campact e.V. und im Aufsichtsrat von Finanzwende e.V., außerdem Vorsitzende des kleinen Vereins Menschen voller Energie e.V., war schon im Bundesvorstand vom BUND e.V., Schatzmeisterin bei den GRÜNEN in Hessen und vieles mehr.

Mein Interview mit Gisela Enders
Hallo Gisela – Glückwunsch! Das Workbook „Aktiver Ruhestand“ hat es ja ganz schön in sich: 95 Seiten sind für ein Workbook schon eine stolze Leistung! An wen richtet es sich denn? Und: Wie lange VOR Rentenbeginn würdest du empfehlen, sich mit dem neuen Lebensabschnitt auseinanderzusetzen?
Danke für die Glückwünsche. Du kennst das ja selbst, Bücher haben immer den Charakter eines Babys und die Geburt ist nicht immer einfach. Um im Geburtsbild zu bleiben, befruchtet haben mich meine Coachees, die sich jetzt zum Teil auf dem Weg in den Ruhestand machen und dieser Prozess nicht immer einfach ist. Zunächst habe ich für einige Coachees die ersten Fragebögen erstellt, um dann gemeinsam an den Antworten zu arbeiten. Daraus wurden immer mehr und dann hatte ich die Idee, dass man das doch ausbauen und mehr Menschen zugänglich machen könnte. Es richtet sich also an Menschen, die wissen, dass der Ruhestand auf sie zukommt und die sich gerne Gedanken zu einer anstehenden Veränderung machen. Das Buch ist eindeutig nicht für Menschen gedacht, die einfach nur mal ein Buch lesen wollen.
Und wann man es bearbeiten soll? Ich würde sagen, etwa ein bis zwei Jahre vor dem Ruhestandseintritt, man könnte aber auch schon fünf Jahre vorher anfangen. Im Rahmen der Feedbackrunde habe ich aber auch von Ruheständlerinnen das Feedback bekommen, dass sie gerne mit dem Workbook ihren Status Quo aufgefrischt haben und Spaß hatten, wieder neue Pläne zu machen und inspiriert zu werden.
„Ich finde ja, der ‚Ruhestand‘ ist eine richtig große Transformation.“
Du sprichst ja auch davon, dass es beim Verlassen der Arbeits-Phase und dem Eintritt in die Phase des „Ruhestands“ – oder eben auch nicht – um Transformation geht. Kannst du das bitte mal kurz ein wenig näher beschreiben? Denn Transformation bedeutet – zumindest nach meinem Verständnis – ja eine komplette Neuausrichtung. Darum gleich noch die Zusatzfrage: So eine komplette Neuausrichtung könnte für manche Menschen ja auch was Beängstigendes haben … Wie sind da deine Erfahrungen als Coach und Trainerin?
Wie können wir den Ruhestand – für uns – attraktiv machen?
Ich finde, es ist sogar eine richtig große Transformation im Leben. Spätestens seit der Schule machen viele von uns ihr ganzes Leben lang Dinge, die vorgegeben, strukturiert und in organisierten Gruppen stattfinden. Außer im Urlaub gibt es da wenige Tage, in denen man morgens aufsteht (oder eben auch liegenbleiben kann) und einfach frei entscheiden kann und muss, was man jetzt machen will. Im Urlaub ist das toll, aber über Monate und Jahre hinweg kann das belastend sein.
Als die Rente erfunden wurde, hatten die meisten Menschen nur eine kurze Phase, in der sie diese bekommen haben. Einfach, weil die Lebenserwartung noch nicht so hoch war. Jetzt kann diese Phase durchaus 30 Jahre und mehr dauern, also durchaus eine lange Zeit. Diese völlig ziellos und ohne Aufgabe, neue Kontakte und Abenteuer zu verbringen, hört sich für mich tatsächlich beängstigend an. In meinen Coachings haben besonders Selbstständige, Führungskräfte und Unternehmer*innen sehr damit zu kämpfen, sich in den Ruhestand zu verabschieden, eben weil ihnen das neue Leben eher beängstigend als aufregend erscheint. Da müssen wir erst neue Visionen entwickeln, die sich tatsächlich attraktiv anfühlen, um loslassen zu können.
Aktiver Ruhestand: Austausch mit anderen ist „super wertvoll“
Das Workbook beinhaltet Listen, Fragen, Anregungen, Ideen, eine Checkliste, grafische Orientierungen und Notizmöglichkeiten, Fragelisten und Planungsideen. Die sind äußerst vielfältig – das finde ich toll. Was würdest du Interessenten raten: Ist es besser, das allein zu reflektieren? Oder wäre vielleicht eine (kleine) Gruppe dafür noch besser geeignet? Wenn du an die Nutzungsmöglichkeiten des Workbooks denkst, was wäre da deine Wunschvorstellung?
Am liebsten reflektiere ich die Fragen mit einzelnen Personen und in Gruppen – also mit mir als Coach. Weil ich das so gern mache. Aber das ist natürlich nicht Sinn eines Workbooks, das jedeR im Buchhandel kaufen kann. Ich glaube, dass man es gut allein bearbeiten kann – es aber noch wertvoller wird, wenn man die Fragen im Anschluss mit anderen Menschen, die in der gleichen Veränderungsphase sind, gemeinsam bespricht. Ich begleite immer wieder Workshops für Menschen, die in dieser Vorbereitungsphase sind und erlebe den Austausch als super wertvoll. Zumal es da gleich neue Kontakte geben kann, da ja die beruflichen Kontakte erfahrungsgemäß wegbrechen werden.
Was sind die wichtigsten Stellschrauben, um finanziell gut über die Runden zu kommen?
Einer deiner Schwerpunkte ist ja die finanzielle (Alters-)Vorsorge – ein äußerst wichtiges Thema! Und das Workbook bildet es wirklich gut ab, gibt Zugang aus verschiedenen Perspektiven. Kannst du uns kurz verraten, was für dich die wichtigsten Stellschrauben sind, um auch im Alter finanziell gut über die Runden zu kommen?
Viele Stellschrauben gilt es viel früher zu stellen. Aber „Hätte, hätte, Fahrradkette“, das hilft nicht viel, wenn es im Alter nicht reicht und der Ruhestand vor der Tür steht. Trotzdem bin ich überzeugt, dass ein klarer Blick hilft. Ein Kassensturz, ein kritischer Blick auf die Ausgaben macht deutlich, welche Stellschrauben jetzt noch gestellt werden können. Das könnte sein: länger arbeiten, weniger ausgeben, eine Selbstständigkeit starten, reich heiraten, in ein günstigeres Land auswandern. Keine Ahnung, was es sonst noch geben könnte, aber Kopf in den Sand macht nicht glücklicher.
„Eine Selbstständigkeit starten, reich heiraten, in ein günstigeres Land auswandern. Keine Ahnung, was es sonst noch geben könnte, aber Kopf in den Sand macht nicht glücklicher.“
Viele Menschen, mit denen ich zu tun haben, haben aber eher das andere „Problem“. Sie haben so gut vorgesorgt, dass reichlich da ist. Das braucht auch Antworten und hier mache ich gern Mut, besonders in der hoffentlich noch aktiven Zeit, tolle Erinnerungen für sich und seine Liebsten zu schaffen und gleichzeitig mit Anderen zu teilen, um die Welt irgendwie besser zu machen.
„Wie wollen wir im Alter wohnen? Dazu haben mein Mann und ich uns sehr lange und viele Gedanken gemacht.“
Du bist ja nun mit 57 noch nicht im Rentenalter, gibt es andere Themen, die Dich selbst angesprochen haben oder bei denen eigene Erfahrungen eingeflossen sind?
Die meisten Themen haben sich tatsächlich mit meinen Coachees entwickelt, zum Teil auch in Gruppenarbeiten und mit Kolleginnen, die auch zum Thema arbeiten. Aber bei zwei Themen wurde es für mich und meinen Mann ganz praktisch.
Das Abenteuer ist noch lange nicht vorbei …
Zum einen bei der Überlegung, wie wir im Alter wohnen wollen. Dazu haben mein Mann und ich uns sehr lange und viel Gedanken gemacht. Wir haben etwa fünf Jahre immer wieder Regionen und dortige Immobilienangebote angeschaut, um tief reinzufühlen, ob wir uns an dem jeweiligen Ort wohlfühlen würden. Letztlich haben wir uns für einen altersgerechten, aber sehr schönen Neubau auf dem Land entschieden, gut und schnell mit dem Zug an eine mittelgroße Stadt angeschlossen. Mit dieser Entscheidung war und ist das Abenteuer noch nicht vorbei, es musste ein größerer Umzug gestemmt werden und hier ist es auch alles längst noch nicht so weit, wie gedacht. Besonders für meinen Mann, der schon im Rentenalter ist, kann ich sagen, dass das Zeitfenster für eine räumliche Veränderung nicht so super groß ist. In zehn Jahren würde er sich das nicht mehr zumuten wollen.
Mit dem Umzug und bereits in der Vorbereitung haben dann die neuen sozialen Kontakte eine große Rolle gespielt, bzw. ganz konkrete Strategien, wie man diese aufbaut. Wir sind jetzt seit 1,5 Jahren in unserem neuen Dorf und ich bin wirklich begeistert, wie gut das geklappt hat. Hier haben sich konkrete Aktionen, wie die Mitgliedschaft in Vereinen, aber auch zu schauen, wem kann ich Hilfe anbieten und wen könnte ich um Hilfe bitten, wo kann ich immer wieder neue Kontaktpunkte schaffen, die sich zu Freundschaften entwickeln können, sehr ausgezahlt.
„Mich haben die Stereotype, die wir mit Alter verbinden, genervt!“
Ist dir im Verlauf der Arbeit an dem Workbook ein Thema begegnet, bei dem du dachtest: „Das wird bislang noch nicht ausreichend wahrgenommen, da müsste noch besser aufgeklärt werden“? Oder hast du – im Gegenteil – das Gefühl, dass die vielfältigen Aspekte des Ruhestands und seiner Planung schon gut in der Gesellschaft angekommen sind?
Mich haben in der Recherche zu dem Thema die Stereotype, die wir mit Alter verbinden, genervt. Da wird so stark fokussiert auf Krankheit, Hilfsbedürftigkeit und Rentenlücke.
Die Zeit der Rente als „Lebensphase Freiheit“
Ich mag die Formulierung meiner Kollegin Gudrun Behm-Steidel, die von Lebensphase Freiheit spricht. Also besonders die ersten Jahre, für viele bis in die 80er Jahre hinein, können einfach aufregend und toll werden. Und wir können auch der Gesellschaft viel zurückgeben. Ganz ohne Zwang kann man sich ehrenamtlich oder auch bezahlt endlich für die Dinge engagieren, die einem wirklich wichtig sind, die Sinn machen. Dieser Fokus fehlt mir oft in allen möglichen Debatten zu Boomern und zum Alter.