Die Ferienfahrschule. Oder: mit 55 erstmals den Führerschein machen

Die Ferienfahrschule. Oder: mit 55 erstmals den Führerschein machen

Tja. Ich hatte mir vorgenommen: Wenn du schon so verrückt bist, mit 55 noch deinen Führerschein zu machen, dann stell es wenigstens so intelligent wie möglich an….

Intelligent, das war für mich: Eventualitäten einplanen, vorausschauend denken, persönliche Umstände einkalkulieren. War auch sicher nicht falsch, aber: erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…

Eventuell – nein: ganz sicher! – würde ich für das ganze Unterfangen länger brauchen, als überall vorgerechnet wird. Als Faustformel gilt: Man braucht das 1,3-Fache des Lebensalters an Fahrstunden. Da war ich dann schon bei 71,5. Fahrstunden. Und sicherheitshalber noch mal 10% drauf…. ich fing schon an, mich selbst nervös zu machen.

Unterm Strich stand für mich allerdings fest: Das schaffst du nie und nimmer in deinem „normalen Alltagsleben“! Oder ich brauche dazu mindestens zwei Jahre. Also habe ich mir eine Ferienfahrschule gesucht. Und stellte mir vor: Da wohne ich rund zwei Wochen in schöner Umgebung, mache ab und zu einen Spaziergang und bin ansonsten ganz konzentriert. Nichts als Autofahren im Kopf. Ungefähr so kam es dann zwar auch. Trotzdem hab ich den Führerschein nicht „in einem Rutsch“ geschafft. Warum nicht? Das hatte mehrere Gründe.Und manche davon haben durchaus auch etwas mit „Alter“ zu tun.

  1. Die meisten Ferienfahrschulen bieten komplette Pakete an, meist „Kompaktkurs“ genannt. Und da nun mal auch bei Ferienfahrschulen das Durchschnittsalter bei geschätzten 24 Jahren (also leicht höher als im Durchschnitt) liegt, sind die Kompaktpakete entsprechend kalkuliert – und damit meine ich vor allem die Zahl der Fahrstunden. Für mich also viel zu niedrig. Ich habe eine wirklich nette Ferienfahrschule gefunden. Und man „stülpte“ mir da auch nicht das Standard-Angebot über. ABER: Fälle wie ich sind schlichtweg nirgends vorgesehen. Und dann wird es mit der Organisation schwierig….
  2. Ich brauchte in der ersten Woche tatsächlich immer viel Zeit zur Erholung… Kurz: Ich wurde sehr abrupt ins kalte Wasser – ne: direkt hinters Steuer – geschmissen. Und da hatte ich erst mal nur eins: Angst. Wer 55 Jahre lang das Geschehen auf der Straße nur vom Beifahrersitz aus gesehen hat, findet noch ziemlich lange, dass der Mittelstreifen IMMER viel zu nah an der Fahrertür ist… Auch wenn der Fahrlehrer schon das fünfte Mal ruft: „Sie fahren gleich rechts in den Graben!“ Mir doch egal! Die ganzen entgegenkommenden Fahrzeuge so dicht an meiner Autotür – die fand ich viel gefährlicher. Ist nur ein Beispiel von vielen. Mein Fazit: Sei die Fahrschule noch so gut, für Ältere brauchen Fahrlehrer vor allem eins: Viel Einfühlungsvermögen. Und Geduld.
  3. Geduld braucht natürlich auch der Fahrschüler. Und daran scheiterte schließlich meine Ferienfahrschule: Als ich nach zwei Wochen aus persönlichen Gründen nach Hause musste, nach einer weiteren Woche mein Fahrlehrer Urlaub hatte, wollte ich nicht weiter immer hin- und herfahren müssen – mit Sack und Pack, versteht sich. Denn natürlich musste ich mir ein Zimmerchen mieten. Da beschloss ich, den Rest der Fahrstunden dann doch lieber von zu Hause aus zu absolvieren. Dort habe ich mir dann eine Fahrschule gesucht, in der man nachweislich auch schon Menschen mit Behinderung das Autofahren beigebracht hat. Die Schlussfolgerung: Mit 50plus den Führerschein machen zu wollen = „behindert“, weigere ich mich allerdings zu ziehen…. Obwohl: Ich habe im Lauf meiner Fahrstunden gelernt, mich teilweise sehr wohl mit Menschen mit Behinderungen zu identifizieren. Was ich nun wiederum für eine ziemlich gute Übung halte.

Fazit bis hierhin

Als Einstieg für das „Abenteuer Führerschein“ ist eine Ferienfahrschule wirklich nicht schlecht. Aber ob und wie das mit 70 Fahrstunden (oder mehr….) durchzuhalten ist, muss jede und jeder selbst probieren – da mag ich keine Tipps geben. Und – natürlich nicht nur für Ältere – gilt: Fahrlehrer, Fahrlehrerinnen, Fahrschüler und/oder Fahrschülerinnen verbringen eine recht intensive Zeit ziemlich nah nebeneinander. Da sollte „die Chemie“ schon einigermaßen stimmen….

 

Und wie hat das alles angefangen?

Es gab immer wieder Punkte in meinem Leben, an denen ich mich schrecklich darüber geärgert habe, dass ich mich in Ecken manövriert habe, aus denen heraus ich nur noch re-agieren konnte. Weil ich schon mit dem Rücken zur Wand stand. Nicht rechtzeitig genug agiert hatte, nicht aktiv genug geworden war. Ich glaube, das kennen viele… vermutlich mehr Frauen als Männer…

Und was hat das jetzt mit dem Führerschein zu tun? Viel. Aus meiner Sicht jedenfalls. So ein Projekt wie „Führerschein mit 50plus“ ist für mich auch ein therapeutisches Ding: Immer wieder wirst du mit Grundsätzen konfrontiert, die du dein Leben lang nicht hinterfragt hast. Weil du sie nicht hinterfragen musstest. Und ein guter Fahrlehrer wird dich immer wieder mit der Nase drauf stoßen. Nein, stimmt natürlich nicht so ganz. Genau genommen bin ich es immer selbst, die sich da die Nase anhaut… ohne groß drüber nachzudenken.

Egal, wo ich hinkam, überall musste ich erst mal Fragen beantworten: Ja, warum haben Sie denn noch keinen Führerschein?! Warum wollen Sie ihn denn jetzt noch machen?! (Das „jetzt noch“ mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen…) ER, das ist mein Führerschein. Den ich mit 55 Jahren noch machen will, zum ersten Mal, wohlgemerkt. Und diese zwei Fragen waren noch die harmloseren. Es kam auch: „Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“ und: „Wollen Sie sich das wirklich antun?“ Oder: „Sie wissen schon, dass man als älterer Mensch nicht mehr ganz so schnell lernt wie als junger?“

Aus Gründen….

Ja, weiß ich. Und ich wusste auch, dass es nicht einfach werden würde. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich mich derart würde rechtfertigen müssen….. Ich hab mir ein paar Standardantworten zurecht gelegt. Vom schnippischen „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ bis zum ausführlichen: „bei den Eltern von Freunden war das so…. Papa Führerschein, Mama nicht. Papa Schlaganfall. Die beiden leben auf dem Land. Und Mama konnte sich von einem Tag auf den andren nicht mehr versorgen.“ Ups. An so was hatte scheinbar noch nie jemand gedacht. Nachdenkliche Gesichter. Verständlich war wohl auch, dass ich so lang mitten in der Stadt gewohnt habe und keinen Führerschein brauchte. Jetzt auf dem Land aber schon. Vor allem, weil die Frequenz des Öffentlichen Nahverkehrs halbjährlich immer weiter zurückgeht.

Agieren oder reagieren?

Zum Beispiel wollte ich anfangs immer schon bremsen, wenn nur zwei Ladies mit Einkaufstaschen am Straßenrand standen. Gemütlich quatschend, auf dem Fußgängerweg, wohlgemerkt. Bei jedem Menschen am Straßenrand eigentlich… Das hat mir mein Fahrlehrer inzwischen ausgeredet: „Man kann es sich im Straßenverkehr einfach nicht leisten, zu ALLEN Menschen freundlich zu sein!“ Okay, verstanden. Aber was ist mit denen, die suchend am Rand stehen, offensichtlich über die Straße wollen – nicht an Fußgängerüberwegen, sondern einfach so? Wahrscheinlich hab ich zu viel Phantasie… Die sah ich immer gleich schon unter meinem Auto liegen. Da half der Satz des Fahrlehrers: „Es sind nicht überall Selbstmörder unterwegs!“ Nein, wohl nicht. Zum Glück!

Ich erzähl das eigentlich jetzt nur, um zu zeigen, wie sehr ich mich bei meinen ersten Fahrversuchen immer wieder als Re-Agierende erlebt habe… Reaktionen zum Teil sogar auf Dinge, die nur in meiner Fantasie stattfanden. Da hab ich dann gemerkt, dass ich das wohl immer schon viel zu häufig gemacht habe. In vielen Situationen, in unterschiedlichen Lebenslagen. Nein, das hat natürlich primär mal wieder gar nichts mit dem Alter zu tun! Aber dadurch, dass ich dieses Verhalten 50 Jahre und länger so unhinterfragt wiederholt habe, hat es sich natürlich ganz schön in mir festzementiert. Und schon in meinem „Leben vor dem Führerschein“ stand ich dann immer wieder da und hab mich gewundert, warum ich jetzt so gut wie keinen Handlungsspielraum mehr habe. Kein Wunder!

Beim Autofahren ist das nun wirklich fatal. Da hast du die falsche Entscheidung getroffen, andre um Kurven fahren lassen, um die du selbst rum willst. Und da hängst du dann. Musst in Sekundenbruchteilen entscheiden, wie du da wieder rauskommst… Die Wahrscheinlichkeit, dabei das Falsche zu tun, ist ziemlich hoch. Was mich angeht: Ich bremse dann meistens. Auch blöd.

Der Standardspruch meines Fahrlehrers ist dann immer, ich müsse lernen, „vorausschauend zu fahren!“ Ja, meinem Kopf leuchtet das ein. Sehr sogar. Aber ich hab so viele Jahrzehnte oft einfach nur vorsichtig agiert, Dinge und Menschen auf mich zukommen lassen… Das sitzt ganz schön tief. Ist schwer, sich das wieder abzugewöhnen.

Und auf der anderen Seite frag ich mich manchmal: War es möglicherweise ein echtes Versäumnis, den Führerschein nicht schon viel früher gemacht zu haben? Hätte ich nicht durch die im Straßenverkehr permanent notwendige Aktions-Bereitschaft auch in meinem ganz normalen Leben besser/früher lernen können, entschiedener zu agieren? Ich weiß es nicht.

Einerseits hab ich immer an dem Grundsatz festgehalten, dass alle Menschen stets die gleichen Chancen haben sollen. Dass ich andren, die vielleicht weniger schnell/laut mit Worten sind als ich, nicht „über den Mund fahren“ will. Was mir natürlich trotzdem permanent passiert ist. Aber nur so, als Beispiel. Mich nicht vordrängeln, nicht zu egoistisch sein (ein bisschen aber sehr wohl…), nicht zu laut, nicht zu fordernd etc. Was ich im Zusammenleben und -arbeiten mit anderen Menschen nach wie vor als ganz brauchbare Grundsätze empfinde, wird mir beim Autofahren jetzt zum Verhängnis. „Sie müssen die volle Kontrolle haben!“, sagt mein Fahrlehrer. Und: „Zeigen Sie den andren: ‚Hier komm ich! Ich nehme mir den Platz, den ich brauche‘!“ Genau das ist es wohl. Genau das muss ich wohl lernen. Und vermutlich nicht nur dann, wenn ich mal wieder das Lenkrad krampfartig fest umklammert halte… Sondern auch in meinem übrigen Leben. Darum hat für mich jede einzelne Fahrstunde therapeutischen Effekt.

 


 

Text: Maria Al-Mana

Bild: Erstellt mit Hilfe von photofunia


Nach wie vor freue ich mich über Kommentare, eigene Erfahrungen, Fragen….. Vielen Dank!

13 Gedanken zu „Die Ferienfahrschule. Oder: mit 55 erstmals den Führerschein machen

  1. Hallo,

    Also nach langem hin und her hab ich entschieden ich breche den FS ab!
    Finde mich mit allem nicht mehr zurecht die lernerei nervt Stress in der Fahrschuke usw.
    Schade aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen!

  2. Weiss denn nun jemand eine gute Fahrschule vielleicht sogar Ferienfahrschule in Berlin oder in der Nähe Brandenburgs wo man einfühlig auf Leute über 50 eingeht, die noch einen Führerschein machen wollen?
    Wäre für jeden Tip dankbar!!

  3. Hallo Nirca,
    hast du deinen Führerschein gemacht und alles erfolgreich abgeschlossen? Ich bin auch Anfsng 50 und überlege, ob ich den Führerschein noch mache. In jüngeren Jahren konnte ich mich nicht dazu durchringen, dann kam die Familienzeit und jetzt denke ich, es wäre schon nicht schlecht Fahren zu können. Würde mich freuen, wenn du mir deine Erfahrungen dazu schreibst.
    Viele Grüße von Romy

  4. Hallo,
    ist der Blog noch aktiv. Ich bin auch 52 und hatte in jüngeren Jahren keine Ambition für Führerschein und Fahren und in der Großstadt kommt man ohne auch gut zurecht. Dann kamen die Aufgaben mit Beruf und Familie. Und nun überlege ich, ob ich den Führerschein noch mache, um mobiler zu sein. Was sind eure Erfahrungen? Habt ihr den Führerschein gemacht? Seid ihr jetzt mobil und fährt regelmäßig und auch gern? Könnt ihr Tipps geben? Vielen Dank im Voraus!

  5. Hallo,

    bin gerade auf Deinen Blog gestoßen über die Suche „Führerschein mit 50“…. also gibt es außer mir da draußen noch so andere Seltsamkeite ohne Führerschein???. Wie ist es Dir danach mit dem FS gegangen, fährst Du regelmässig und fühlst Dich sicher?
    LG, Nirca

  6. Ich selber bin 57 Jahre und mache seit 7 Jahren! Den Führerschein! Hätte ich nicht so viel an Geld investiert, ich würde es nie wieder machen! Zumal mir Jahr für Jahr etwas dazwischen kommt, sei es Gesundheitlich oder Termine schon muss ich wieder neu Verlängern! Fazit: Wenn man den Führerschein nicht in JungenJahren macht, ist es fast nicht mehr machbar wenn man älter ist! Die privaten Verpflichtungen und womöglich wie bei mir Krankheit hindert einem sehr beim lernen! Das lernen fällt mir leider auch von Jahr zu Jahr schwerer! Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben und versuche es noch bis 60 Jahre! Dannach schmeisse ich das Handtuch! Sollte wohl nicht sein!

    1. Wow! Ich kann mir nur annähernd vorstellen, wie viel Kraft das kosten muss, alle Achtung! Um so mehr wünsche ich mir und dir, dass es jetzt endlich klappt! Verdient wäre es wirklich endlich mal!
      Herzlichen Gruß
      Maria

  7. Ob es ein Intensivkurs oder ein ganz gewöhnlicher ist, sollen die Grundkenntnisse auf jeden Fall ergriffen werden. Für mich bleibt für immer als Vorbild mein Fahrlehrer, der mich die Fähigkeit gelehrt hat, mein Leben zu schützen und das von dem anderen zu retten. Danke für die Infos, nützlich für meinen Neffen!

  8. Wenn man sich in jemanden hineinversetzt, der erst spät im Leben seinen – oder meist ihren – Führerschein machen möchte, bin ich sehr dankbar, dass ich schon recht früh damit dran war. Im jungen Alter hat man das ja noch gar nicht im Blick, dass das später viel schwieriger ist. Bekommen die Fahrschüler im höheren Alter immer gleich einen Intensivkurs? Oder geht das auch auf dem herkömmlichen Weg?

    1. Liebe Mira,

      nö, Gott sei Dank: Da bist du auch in „höherem Alter“ noch frei, deine Wahl zu treffen: Intensivkurs oder nicht? Das zu machen, war meine ganz freie Entscheidung. Aber was du sonst noch schreibst, stimmt absolut: Was habe ich euch alle beneidet, die ihr das in einer Zeit hinter euch gebracht habt, in der man (noch) nicht unnötig viel über dies und das nachdenkt! Wo alles irgendwie viel selbstverständlicher ist …

      Herzliche Grüße
      Maria

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