Corona und das Älterwerden – 6 Fragen und 5 Gedanken
Dies hier ist ja mein Privat-Blog, ein #blog50plus. Und obwohl ich mich – wie immer wieder aus anderen Blickwinkeln beschrieben – im Lauf des Älterwerdens neu aufgestellt, vor allem beruflich ständig wieder verändert und vieles dazu gelernt habe … Obwohl ich mein Thema gefunden habe, das da lautet „Mehr Eigensinn, bitte!“ Obwohl ich mit der Buchhebamme endlich den passenden Begriff für mich und meine Arbeit gefunden habe … Obwohl ich zu alldem mittlerweile zwei Bücher geschrieben, mich als Coach zertifiziert, Facebook, Instagram, Pinterest und viele weitere Arbeits-Kanäle entdeckt und auf meine Weise „erobert“ habe …
Aaaber …
Trotz alldem habe ich nicht das Gefühl, sichtbar vorwärts zu kommen, mich so zu entwickeln, wie es dem Arbeitseinsatz, meiner Erwartung, meinen Hoffnungen entspricht. Und jetzt lauten meine Fragen:
- Warum habe ich das ständige Gefühl „Da geht nichts vorwärts! Gar nichts!“ Warum ist das so?
- Und dann gleich die logische, nächste Frage: Liegt es am Alter? Letztes Jahr bin ich immerhin 60 geworden. Das wollte ich eigentlich – vor allem für mich selbst – ganz groß feiern. Und wurde dann ziemlich blöd, mitten in der Corona-Zeit.
- Genau: Hat Corona mit alldem überhaupt etwas zu tun? Und wenn ja: Welche Parameter habe ich denn eigentlich, das mit Sicherheit sagen zu können? Denn es wäre ja durchaus denkbar, dass das alles auch OHNE Corona so – oder ganz ähnlich – ausgesehen hätte.
- Oder habe ich einfach nur falsche Erwartungen, ganz grundsätzlich?
- Macht das Älterwerden mich vielleicht doch nervös? Dünnhäutiger als gedacht, irgendwie empfindlicher?
- Sind Corona und Älterwerden doppelt schlechte Voraussetzungen – dann natürlich nicht allein für mich, sondern für alle, die nicht mehr ganz jung sind?
Corona und Älterwerden
Ich will jetzt gar nicht damit beginnen, diese Fragen im Einzelnen zu beantworten. Denn viele Antworten muss jede und jeder sich selbst geben. Ausnahme ist Frage 6. Da bin ich sicher: Das trifft auf uns alle zu, die wir „älter“ sind. Das Alter war, ist und bleibt eine doppelte Hürde in Zeiten dieser Pandemie. Wissen wir alle, oder? Je älter, desto eher gelten wir als gefährdet. Allerdings hat mich dieses „ständige „Nehmt Rücksicht auf die Älteren!“ stellenweise auch regelrecht wütend gemacht. Da gab es viel zu häufig ein altersbedingtes „Wir“ und „Ihr“. Doch Tatsache ist auch: Nicht nur ältere, sondern ALLE Menschen sind gefährdet, können gesundheitlich schwer beeinträchtigt werden und sogar sterben, wenn sie das fürchterliche Virus erwischt hat. Darum ist und bleibt mein Credo:
[bctt tweet=“Wir ALLE müssen aufeinander Rücksicht nehmen! Und zwar unabhängig vom Alter.“ username=“texthandwerk“]
Was mich wütend macht
Wenn jemand versucht, Altersgruppen gegeneinander auszuspielen, dann ist das zum einen extrem unfair, kontraproduktiv. Und lässt mich zum anderen noch immer schnell wütend werden.
Beispiel: In einer Talkshow fordert ein jüngerer Mensch, alle Älteren sollten zum Dank für die ganzen Corona-Rücksichtnahmen in Zukunft auf „ihre“ Kreuzfahrten verzichten … Jung versus Alt. Und Corona- versus Klimaschutz. Ich finde, wer solches Konkurrenzdenken fördert, handelt unverantwortlich gegen jeden Rest von Menschlichkeit, zerstört alle Möglichkeiten von Verständnis füreinander wie auch die möglichen Wege für ein faires Miteinander. Das halte ich für fatal. Und es ist einer der äußersten Punkte, an die wir gelangen können, wenn wir das äußerst ungute Gefühl haben, durch Corona in vielen Punkten eigentlich Selbstverständliches verloren zu haben. Und dann auch noch wegen unseres Alters angreifbar, mindestens unsicher zu sein. Oder langsam zu werden.
Was macht Sinn?
Ganz ehrlich: Ich habe lange gebraucht, um einen Beitrag wie diesen überhaupt schreiben zu können. Viel zu sehr hatten mich Unsicherheit, Nebel-Gefühle, große wie kleine Ängste, depressive Anwandlungen, alte Abwehrmechanismen (Kopf in Sand, aber schnell!), wechselnde Lähmungserscheinungen oder schlicht riesengroße Ratlosigkeit im Griff. Ich weiß: Damit bin ich nicht allein. Aber bevor ich jetzt auch noch zu denken anfange, die gesamte Menschheit sei mehr oder weniger in einer Art Schockstarre, finde ich es produktiver, etwas genauer auf Unterscheidungen, Differenzierungen zu gucken. Und für mich ist das Älterwerden eine solche Differenzierung – und zwar eine, die Sinn macht. Darum habe ich aus den Erfahrungen meines vergangenen Jahres mal ein paar Tipps „destilliert“, bei denen ausdrücklich Corona mit Blick auf das Älterwerden im Fokus steht.
Erstens: Erfahrungswissen einsetzen
Der erste Tipp ist eine Erfahrung, die ich mir mühsam erarbeiten musste. Eine, die ich mir selbst mit zwanzig nicht mal ansatzweise geglaubt hätte … Dabei ist es ganz simpel: Alles, dem ich mich mit aller Macht entgegenstellen will, wird umso heftiger gegen mich wirken. Dann ist es für mich Abwägungssache: Handelt es sich um etwas, das ich überhaupt ändern kann, etwas, worauf ich Einfluss habe? Da ist meiner Ansicht nach eine Pandemie der worst case. Ich kann absolut gar nichts daran ändern. Und im Fall von anderen Krankheiten habe ich schon länger gemerkt: Es ist viel schlauer, sich Dingen, die ich nicht ändern kann, lieber gleich zu „ergeben“. Da ver-kämpfe ich mich nicht. Sondern schone meine Ressourcen, um auf einer anderen Ebene vielleicht doch noch Positives zu finden, zu erreichen, zu bauen, zu produzieren. Völlig egal, was. Bei mir hat das fast immer – im weitesten Sinn – mit Kreativität zu tun. Muss aber nicht … Einfach das, was uns jetzt das „Gute im Schlechten“ finden lässt. Und das darf gern auch ein winziges Körnchen Irgendwas sein: mehr Zeit für mich und die ersten Frühlingstage, mehr Geduld, mehr neu gestrickte Socken, mehr gelesene Bücher, mehr Kräuter auf der Fensterbank, mehr Traum, mehr Wolkenzupfen, mehr Badewanne … Natürlich löst das direkt kein einziges Problem. Indirekt aber vielleicht doch … Denn statt sich in Corona-Sorgen zu verbohren, helfen Geduld und Ruhe ganz sicher: Irgendwann greifen neue medizinische Wege – welche auch immer. Denn das ist eine der wenigen guten Seiten einer Pandemie: ALLE Menschen haben ein Interesse daran, dass es besser wird. (Auch die, die die logischen Wege dorthin noch immer nicht verstehen, nicht verstehen wollen … Und auch die, die Entscheidungen treffen müssen, aber irgendwie aus Fehlern noch immer nicht lernen wollen – warum, weiß der Geier!)
Zweitens: Wenn es allen schlecht geht, ist Älterwerden kein Argument
Mir ist völlig klar: Unter Corona und allen damit verbundenen Problemen leiden derzeit alle Menschen: Kindergartenkinder ebenso wie ältere Menschen, Infizierte und von Ansteckung permanent Bedrohte (oft Seite an Seite … die einen brauchen Hilfe, die anderen versuchen zu helfen), manche haben keine bis wenig Arbeit, anderen droht der Arbeits-Kollaps durch Überlastung … Und so weiter. An dieser Stelle ist das Älterwerden eben KEIN Kriterium. Älteren geht es genauso miserabel wie allen anderen. Darum ist das noch kein sonderlich brauchbarer Tipp, außer vielleicht in dem Gedanken: Es trifft uns sicher nicht allein.
Drittens: Älterwerden, Corona. Und Gelassenheit
Doch wenn wir an Lebenserfahrungen, Lebenswege und Möglichkeiten denken, sind wir Älteren meiner Ansicht nach dann doch wieder in einer besonderen Situation … Ähnlich dem „wenn ich etwas nicht ändern kann, stemme ich mich besser nicht dagegen“, sind wir meiner Ansicht nach hier dazu aufgefordert, besonders deutlich anzuerkennen, dass es im Leben niemals Stillstand gibt. Standpunkte, Haltungen, Ziele und die Möglichkeit, sie zu erreichen, ändern sich permanent. Ob wir das nun lebenslanges Lernen, Flexibilität, Entwicklung oder „nie Stillstand zulassen“ nennen, spielt keine Rolle.
[bctt tweet=“Wer starr wird und stillsteht, wird schneller alt – davon bin ich überzeugt.“ username=“texthandwerk“]
Dass uns Corona jetzt allerdings dazu zwingt, Dinge zu tun, die wir eigentlich gar nicht wollten, ist definitiv blöd. Bei mir ist es zum Beispiel der noch einmal verstärkte Einsatz virtueller Möglichkeiten .. Daher weiß ich: Ja, das fühlt sich nicht gut an. Gar nicht. Fühlt sich an, als hätte ich einen Teil meiner Selbstbestimmung verloren. Und da ich mir die – nicht zuletzt durch mein Älterwerden – hart erkämpft habe, kann das regelrecht schmerzhaft sein. So ist es übrigens an vielen anderen Stellen auch … Mein Tipp an dieser Stelle ist: Glaubt an euren Weg! Glaubt daran, dass alles, was ihr seid, erreicht, euch erkämpft, gelernt und erarbeitet habt, schon lang zu einem Teil von euch geworden ist. Der ist da. Und der bleibt. Auch, wenn wir ihn derzeit kaum oder selten offen leben können. Unsere Lebenserfahrung, unsere Erinnerungen, unsere Haltungen sind ein Teil von uns. Das nimmt uns niemand. Niemals. Manchmal fällt es schwer, ich weiß – aber ich glaube fest daran: Das ist ein Grund für mehr Gelassenheit.
Viertens: Freundschaften sind alles andere als selbstverständlich
Im vorigen Punkt kann ein Grund für eine weitere Unsicherheit, wenn nicht gar Verletzung liegen: Wir haben uns einiges aufgebaut. Damit meine ich jetzt weder Häuser noch Bankguthaben. Sondern Freundeskreise, Gewohnheiten, regelmäßige Verabredungen … Und dass Menschen, die älter werden, Sorgen haben, langsam zu vereinsamen, ist leider sehr berechtigt. Doch wozu wissen gerade wir schließlich noch, was ein Telefonhörer ist, kennen stundenlange Gespräche mit Freundinnen und Freunden, können sogar noch per Hand Briefe und Karten schreiben?! Das alles geht auch jetzt noch (oder wieder) gut. Und das ist ein simpler Entschluss: Ich pflege meine Freundschaften jetzt (noch) intensiver als vorher! Denn eine Gefahr des Älterwerdens ist ja durchaus auch, zu vieles als selbstverständlich vorauszusetzen. Da ist es sicher kein Fehler, sich mal klarzumachen: Nein, Freundschaften sind alles andere als selbstverständlich! Und: je älter wir werden, desto wichtiger können sie sein.
Fünftens: „Lernprozess Tod“
Der letzte Tipp schließt wieder oben an. Bitte nicht denken: Corona trifft ältere Menschen härter als jüngere. Das ist ein Gedanke, den ich für gefährlich halte … damit können Ältere und Jüngere so wunderbar gegeneinander ausgespielt werden. Lasst uns bitte mal differenzierter darauf sehen: Sind die Lebensumstände eines älteren Menschen, der sich vor Sorge um seine Gesundheit nur noch selten aus dem Haus wagt, wirklich schlimmer als das Leben einer alleinerziehenden Mutter, die alle Arbeit im Homeoffice erledigen, „nebenher“ noch ein oder mehr Kinder beim Schulunterricht begleiten und auch davor oder danach beschäftigen/im Auge behalten muss? Ja, es ist wahr: Wenn das tückische Virus ältere Menschen trifft, leiden sie oft mehr und sterben häufiger daran als jüngere Menschen. Das ist unbestritten. Und unbestritten furchtbar. Aber wenn wir Älteren mal ehrlich sind: Ist das nicht immer schon bei vielen Krankheiten der Fall gewesen? Ja: Ich habe selber oft Angst. Denke: Bitte nicht jetzt, bitte nicht an diesem besch… Virus sterben müssen! Aber vielleicht befinden wir uns im Moment auch in einer Art Kulturschock – der ungern thematisiert wird: so lange waren Gedanken an und über das Sterben das reinste Tabu. Und jetzt redet plötzlich alle Welt davon. Und zwar auf die allerschrecklichste Weise – mit reinen Zahlen, emotionslosen Statistiken. Als ob es da nicht um Menschen ginge! Mich schockiert das. Immer wieder. Vielleicht sollten wir – um diesen Schock abzumildern – ein bisschen mehr Mitleid haben. Mit den Hinterbliebenen der an Corona verstorbenen Menschen – und die sind oft eher jung. Mit allen Menschen, die Angst vor dem Tod haben – was völlig altersunabhängig ist. Mit uns selbst. Miteinander. Und mit den schrecklichen Umständen und Gedanken, die Corona uns zur Zeit aufzwingt. Und zwar uns allen. Gerade für uns Ältere ist dies ein wichtiger – und leider Gottes notwendiger – Lernprozess. Einer von vielen.
Kommentare jederzeit willkommen … Formular unten. Lasst uns bitte darüber reden!
In eigener Sache
Ich bin überzeugt davon: Mit Eigensinn kommen wir unserer Haltung näher – all dem, was für uns Sinn macht, für uns allein. Darum schreibe ich die Trilogie des Eigensinns. Sie besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch getrennt voneinander lesen lassen, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir den Eigensinn erkennen, für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern. Oder ganz allgemein auf dem Weg zu mehr Kreativität.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.
Ein Gedanke zu „Corona und das Älterwerden – 6 Fragen und 5 Gedanken“
Naja. Ich bin auch über 60 und habe mir schon anhören können, dass Corona nicht so schlimm sei, weil es nur die älteren treffe.
Aber ich bin froh, dass ich nicht jünger bin. Dass ich keine Kinder habe, die ich zum Home Schooling motivieren muss. Dass mein Lebenshunger sich so langsam in Gelassenheit verwandelt.
Und ich gar nicht mehr in die Verlegenheit komme, solche blöden Sprüche wie oben von mir zu geben.
LG
Sabiene