Was Kreativität für mich auch bedeutet: Kreise schließen sich. Oder: Kreativität und Älterwerden

Was Kreativität für mich auch bedeutet: Kreise schließen sich. Oder: Kreativität und Älterwerden

Ich kann ja überhaupt nicht rechnen, aber immer wieder ertappe ich mich bei so einer Art Kreis-Schluss, das ist eine Gleichung, die im Kreis geht. Und wenn der Kreis sich dann schließt, habe ich das Gefühl: „Wow! Ja! Stimmt! Endlich! Endlich angekommen!“ Kennt ihr das?

Bei mir hat das in letzter Zeit beachtlich oft auch mit Kreativität zu tun. Und: Solche Gleichungen gehen für mich erst auf, seit ich älter bin. Denn die wichtigsten Bestandteile dieser „Gleichungen“ sind meine Erfahrungen. Okay, mir ist schon klar: Das ist jetzt viel zu theoretisch. Da muss Butter bei die Fische!

Beispiel 1: Kunst – Oostende – Eigensinn. Oder: Hans-Jürgen Müller – Alexander Kluge – Gerhard Richter

Diese „Gleichung begann in den 80er Jahren, als ich Assistentin in der Kunstgalerie von Hans-Jürgen Müller (1936 bis 2009) war. Der Mann war eine Institution Moderner Kunst, hat den geflügelten Slogan „Kunst kommt nicht von Können“ erfunden. Das war auch der Titel seines ersten Buchs.

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Nur noch antiquarisch zu haben: Kunst kommt nicht von Können, Hans-Jürgen Müller. Erschienen 1976

Müller war ein absoluter Bauch- und Nasen-Mensch. Bei allen Entscheidungen verließ er sich auf sein Bauchgefühl, auf seine „Nase“ für Moderne Kunst. Und hat damit Kunst-Geschichte geschrieben. Ich habe viel von ihm gelernt. Sehr viel. Und jetzt, da ich mich mit dem Eigensinn beschäftige, fiel er mir wieder ein. Denn er hat das Kunststück fertig gebracht, sein erstes eigenes Buch zu schreiben, ohne jemals vorher ein anderes Buch über Moderne Kunst gelesen zu haben. Wollte er einfach nicht. Hat er mir wortwörtlich so erzählt. Erst konnte ich das kaum glauben. Inzwischen weiß ich: Ja, das ist mehr als plausibel. Denn der Mann war mit Sicherheit eigensinnig. Er folgte immer nur dem, was für ihn allein Sinn machte. Und das war vor allem das, womit er „seine“ Künstler*innen unterstützen konnte. Da war er genauso kompromisslos wie in seinen Entscheidungen für oder gegen etwas. Darum kommt er auch in meinem Band zwei der Trilogie des Eigensinns vor.

Wunschort meiner Kreativität

Zweite Station dieser Kette war für mich das, was ich über meine Rolle als „Kreativitäts-Dolmetscherin“ hier schon mal zu beschreiben versucht habe. Da geht es unter anderem um den Wunschort meiner Kreativität. Das ist Oostende. Und immer wieder begegnete ich dort Jan Hoet (1936 bis 2014).

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Jan Hoet als Boxer … Bild in meinem Besitz, von mir fotografiert. Maria Al-Mana

Jan Hoet, der ganz großen Kurator Moderner Kunst, an den mit „La Mer, de Zee, das Meer“ eine riesige Hommage in Oostender Museen und im Freien im Jahr seines Todes 2014 erinnerte. Die musste von anderen fertig gestellt werden und hieß dann „Das Meer – Salut d’honneur Jan Hoet – eine Hommage an Jan Hoet“.

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Vor dem Altar von Kris Martin in Oostende am Strand. Bedeutet für mich: Kreativität und Schreiben, Kreativität und Eigensinn, Kreativität und Älterwerden. Und Glück.

Teil dieser Hommage ist auch der Flügelaltar von Kris Martin. Der hat wiederum seine eigene Geschichte … Aber die lass ich hier jetzt mal weg. Jan Hoet bin ich häufig begegnet, in Kassel auf der documenta, in einem Museum in Herford und in Gent. „Kunstpapst“ wurde der Belgier auch gern genannt, weil er so viele Künstler bekannt machte – genau wie Hans-Jürgen Müller. Kurz vor der Vollendung seiner Ausstellung über das Meer starb er.

Ich liebe ihn.

Denn er hatte genau die unkonventionell-eigensinnige Art, die es für jede Art von Kunst meiner Ansicht nach braucht. Das, was es nur in der Kunst (und dazu gehören für mich auch die meisten Bücher …) gibt. Nur dort geben kann. Die erste Begegnung mit Jan Hoet aber hatte ich in der Galerie von Hans-Jürgen Müller. Die war auf eigene Art unvergesslich … Also: Kreis-Schluss Nummer eins.

Wo der Eigensinn ins Spiel kommt

Bei meiner Beschäftigung mit dem Eigensinn war ich ganz schnell bei Alexander Kluge (geboren 1932). Natürlich. Denn mit „Geschichte und Eigensinn“ hat er (gemeinsam mit Oskar Negt) ein epochales Werk verfasst, dessen wichtigstes Credo für mich ist: „Der Mensch muss das Maß aller Dinge bleiben“. Das geschieht vor allem über die Erinnerung jedes und jeder Einzelnen. Womit wir sofort auch schon wieder  beim (Bücher-)Schreiben sind. Alexander Kluge schreibt oft und gern gemeinsam mit anderen Menschen. Zum Beispiel mit Gerhard Richter (geboren 1932) das wunderbare Buch „Dezember“.

Und soeben habe ich – ohne etwa danach zu suchen! – im Internet ein Bild von Gerhard Richter gefunden. (Die Quelle im Original: hier.) Das heißt ganz schlicht „Porträt Müller.“ Das kannte ich bislang überhaupt nicht. Und ich war baff: Das ist er, mein alter Chef, Hans-Jürgen Müller! Und damit hatte sich dieser Kreis endgültig geschlossen. So etwas macht mich glücklich.

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Hans-Jürgen Müller, gesehen von Gerhard Richter

Beispiel 2: Das Making of „Mein Kompass ist der Eigensinn“

Erst wollte ich nur über den Eigensinn schreiben. Dann wurde daraus eine Trilogie. Noch ist sie nicht zu Ende geschrieben. Doch in diesem Schreibprozess wimmelt es nur so von Kreis-Gleichungen! Das begann damit, dass mir sehr schnell klar wurde, dass das Älterwerden und der Eigensinn insofern miteinander zu tun haben müssen, als es in beiden Prozessen um das Auf-Sich-Selbst-Besinnen geht, gehen muss. Schreiben und Älterwerden – was anderes sind unsere Blogs50plus?! Außerdem stelle ich fest, dass meine wichtigsten Kundinnen und Kunden alle plus/minus etwa zehn Jahre „50plus“ sind. Sei es als Menschen, die schreiben wollen, sei es als Menschen, die das Buch kaufen. Allein hier schließen sich die Kreise ständig. Für mich bedeutet das: Ich bin mit meinem Eigensinn auf den Spuren all der Themen, die mich immer schon beschäftigt haben. Also rede ich jetzt – endlich! – vor allem über das, was mich immer schon interessiert, oft auch „umgetrieben“ hat. Ich bin und bleibe „in meiner Spur“. Das ist es, was ich Eigensinn nennen. Oder Glück.

Drei Aspekte der Kreise, die das Schreiben meiner Trilogie ausmachen, habe ich als Gastbeiträge auf der wunderbaren Seite von Evelyn Kuttig veröffentlicht, nachzulesen bei Schwarzaufweiss. Im Einzelnen sind das:

Beitrag eins: Über Unbehagen und Wut

Beitrag zwei: Übers Bloggen, Älterwerden und Anders-Sein

Beitrag drei: Wie aus der Buchidee eine Trilogie wurde

Und ihr so?

Kennt ihr Ähnliches?

  • Plötzlich fügt sich eins ins andere – und man ahnt: „Okay, das ist MEIN Weg!“ Vielleicht sogar MEIN Eigensinn!
  • Könnte das was mit dem Älterwerden zu tun haben? Mit den Erfahrungen, die wir gemacht haben – und weiterhin machen?
  • Und wenn es so ist: Wie gebt ihr dem Ausdruck? Werdet ihr kreativ, wenn ja: wie?
  • Macht es euch ähnlich glücklich wie mich, wenn sich da mal wieder Teile einer unbekannten „Gleichung“ zu Kreisen zusammenschließen?

(Kommentarfeld unten … Gerne!)

 

In eigener Sache

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Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.


 

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