Entschleunigung. Nicht Zeitmanagement

Entschleunigung. Nicht Zeitmanagement

Komische Sache das! Ich habe da ein Buch, schon seit einiger Zeit, es nicht wirklich gelesen und wusste doch immer irgendwie genau, was es mir zu sagen hat. Ich rede von „Finde dein Lebenstempo – Mit dem richtigen Tempo zu mehr Leben“ von Petra Schuseil, Gabal-Verlag hier. Ich denke, es ist ein wunderbares Buch. Und wer den Anregungen von Petra Schuseil folgt, kann sogar noch ein zweites tolles Buch erstellen… mit  Notizen, Antworten, Fragen und Gedanken, die das eigene Lebenstempo unter die Lupe nehmen, wie Schuseil das anregt. Aber das ist dann sowieso ganz privat. Und gehört nicht hierher.

Natürlich habe ich mit dem Lesen begonnen, ganz brav auf der ersten Seite. Sieht ja auch so sympathisch aus, dieses Buch mit einem Coverbild, das mich an ein Foto von mir selbst erinnert, aufgenommen vor etwa zehn Jahren an einem meiner Lieblingsorte, auf den Klippen der französischen Atlantikküste.

vertraeumt

Kein Buch aus dem Zeitmanagement-Regal!

Schon im Vorwort blieb ich an einem Satz hängen: „Zeit ist für Sie momentan ein Thema, sonst hätten Sie nicht zu meinem Buch gegriffen. Sehr gut, dass Sie nicht ins Zeitmanagement-Regal gegriffen haben! Denn beim Umgang mit der Zeit geht es nicht um das Managen.“ Da wusste ich mit Sicherheit: Petra Schuseil ist eine ganz ungewöhnliche Frau. (Geahnt hatte ich das schon vorher, denn ich folge ihr im Netz schon einige Zeit…)

Allein hinter diesem Gedanken, dass man Zeit nicht managen kann, steckt für mich schon eine Art Rebellion. Wer so etwas postuliert – und offensichtlich auch noch selbst lebt – der stemmt sich gegen die Welt der Manager, die uns Tag für Tag überall um die Ohren hauen, dass und wie wir und selbst managend zu optimieren haben. Da ist eine aus meiner Sicht enorme Druckwelle entstanden, der man sich – ist man einmal da hinein geraten – nur noch sehr schwer entziehen kann.  Eigentlich kaum. Allenfalls um den Preis des Gefühls, versagt zu haben. Weil man sich und seine Zeit nicht optimal gemanagt bekommt.

Wie muss ich ticken?

Denke ich unter diesem Aspekt darüber nach, macht mich das regelrecht wütend. Diese Zeitmanagement-Welt ist Gift für alle, die es ernst meinen mit der „inneren Stimmen“, dem aufmerksamen Lauschen auf sie. Zeitmanagement ist ein Instrument der Fernsteuerung. Da sagen uns Pläne um Pläne, Schulungen und Apps, wie wir – im wahrsten Sinn des Wortes – „ticken“ sollen. Da werden Anforderungen gestellt, die – zumindest ich – nie und nimmer erfüllen kann. Und eigentlich auch nicht will.

Was das falsche Lebenstempo anrichten kann

Da liegt dann schon der Hund begraben: Will ich etwas nämlich im Grunde eigentlich gar nicht, tue es „nur“ aus Verzweiflung, weil mir eingeredet wird, dass ich es muss (wenn ich nicht untergehen will in meiner Zeitnot, in der ich schon nach Luft japse), ….dann stehe ich schon so mit dem Rücken zur Wand, dass das bisschen Zeit, was mir dann noch bleibt, komplett verschwendet ist, wenn ich es in Management-Ziele investiere, die ich gar nicht erreichen kann. Weil sie mir nicht entsprechen. Weil sie meine Probleme nicht lösen. Weil sie nicht nach dem „wozu“, „wohin“, nicht nach Wollen und Können fragen. Meine Zeitnot wird also immer größer, ich rudere verzweifelt mit meinen Management-Systemen dagegen an. Und verschwende meine letzten (Zeit-)Ressourcen.

Zugegeben: Das alles ist ein wenig drastisch formuliert. Aber genau so ist mein Gefühl gegenüber der Zeitmanagement-Welt. War es schon immer. Was mich allerdings leider auch nicht daran gehindert hat, in einer langjährigen Festanstellung Zeit und Kraft so lang in eine Sisyphos-Arbeit zu investieren, bis ich – psychisch und physisch komplett platt – auf der Nase lag. Das war dann die vollständige Drosselung meines Lebenstempos, leider erzwungen und nicht freiwillig gewählt.

Hinterherschnuppern….

Doch seitdem ahne ich, dass ich zu den eher „Langsamen“ gehöre. Wenn ich koche, liebe ich zum Beispiel die ganz komplizierten Gerichte. Die Stunden brauchen, bis sie fertig sind (und tue das dann nie allein – das ist ein Festmahl-Inszenierung, die ich mit meinem Mann schon vorher planen muss, damit sie klappt…) Ich liebe das Hinterherschnuppern sich ändernder Düfte, Aromen, den Blick darauf, wie sich Konsistenz oder Farbe ändern. Und eben auch die Zeit, die das alles braucht. Kann stundenlang auf das Meer oder ins Feuer starren. Banal gesagt, bin ich wohl eine Träumerin. Doch entgegen der landläufigen Meinung, dass Träumer Zeit verschwenden, unproduktiv und somit „nutzlos“ sind, habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht: In diesen langsamen, „runtergedimmten“ Zeiten entsteht bei mir immer etwas. Texte wie dieser. Geschichten, unerwartete Ideen. So wie ich beim Kochen oft lange warten muss, bis die richtige Farbe oder Gar-Temperatur erreicht ist, kommt es auch beim Träumen darauf an, dann im perfekten Moment schnell und zielgerichtet aktiv zu werden: Herd aus, PC an. Text schreiben, Gemüse aus der Pfanne nehmen. Da überlegt man dann am besten gar nicht mehr, handelt blitzschnell.

Schnell ist nicht gleich schnell

Ich hab ja schon oft gesagt: Ich kann nicht rechnen. Aber würde man diese Schnelligkeit, mit der bei einer Träumerin wie mir dann alles plötzlich doch (und auch noch ohne Zweifel richtig!) erledigt ist, mit der Zeit des scheinbaren Nichtstuns addieren, bin ich fast sicher, man käme auf die gleiche Zeit, die jemand braucht, der seinen Handlungsablauf immer wieder unterbricht, um sich seiner Zeitmanagement-Raster zu vergewissern, inklusive all der Zweifel und Fragen, die man sich dabei immer stellt: Mach ich das auch alles richtig? Ich glaube also: Es gibt keine Zeitersparnis mit Zeitmanagement. Und schlimmer noch: Im ersten Fall hab ich – wenn alles gut läuft – nie Zweifel, das Richtige zu tun. Im zweiten Fall aber sind diese Zweifel fast schon Voraussetzung meines Handelns – sind die Zweifel doch genau das, was mich in meinem Handeln antreibt. Das Ergebnis wird mir also kaum je das Gefühl der Befriedigung, gar des Einsseins mit mir und meiner Zeit geben können.

Sehnsucht nach dem richtigen Tempo

Okay, das war jetzt schon arg philosophisch. Einfacher ist das Ganze vielleicht, führt man sich vor Augen, wie umfassend durchgetaktet unser Leben in jeder Hinsicht ist. Und wie groß die Sehnsucht der allermeisten Menschen danach, dieser „Taktung“ zu entkommen. Jeder auf seine Weise, mit kleinen und großen „Auszeiten“ (was für ein Wort!), Sport, Musik, Filme gucken. Noch deutlicher positioniert sich dann in Richtung meiner Gedanken, wer Yoga, Meditation oder ähnliches wählt: Das ist ja genau die Konzentration auf den Moment der richtigen Konsistenz von Fleisch im Ofen. Oder so.

Manchmal erfordert es Mut, sich quer zu stellen

Doch wir leben in einer Welt, die kaum vorsieht, dass wir stundenlang ins Feuer starren. Wir sollen, müssen – und wollen auch gern – „produktiv“ sein. Aber es gibt Grenzen. Noch produktiver, noch effizienter, noch erfolgreicher, noch besser organisiert – das geht irgendwann einfach nicht mehr. Und wird doch von uns erwartet. Glauben wir jedenfalls, häufig irrtümlich. Das Problem ist: Wer den Vorgaben nicht entspricht, wird schnell mit „Leistungsunfähigkeit“ assoziert.

Da finde ich es extrem mutig, wenn sich jemand wie Petra Schuseil so querstellt. Darauf beharrt, dass es ein EIGENES, ein „richtiges“ Lebenstempo gibt. Das allein in uns liegt. Und niemals in Fremdmustern des Zeitmanagements zu finden ist.

Ach ja: Das Buch habe ich darum nicht weiter gelesen, weil all diese Gedanken schon nach den ersten Seiten wie auf Knopfdruck aus mir raussprudelten. Offensichtlich hatten sie bereits lang genug in einem von mir fast unbemerkten Eckchen vor sich hingeköchelt…..

Und dann passierte noch was ganz Wunderbares. Petra Schuseil lud mich zum Interview in ihrem Lebenstempo-Blog ein. Ist noch nicht erschienen… Ich werde euch auf dem Laufenden halten.

In eigener Sache

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Noch eine Sache, die prima dabei hilft, das eigene Lebenstempo zu finden, ist der Eigensinn. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt: Meine Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.

 

Ich freue mich, wenn ihr diesen Beitrag in die Welt tragt ... danke!

12 Gedanken zu „Entschleunigung. Nicht Zeitmanagement

  1. Pingback: Lebenstempo
  2. Pingback: PR-Strategie eignes Tempo
  3. „Und dann braucht man ja noch Zeit um vor sich hin zu schauen“, soll schon Astrid Lindgren gesagt haben. 😉

    Und sie hat über 70 Bücher geschrieben!

  4. sehr schöner und wichtiger Beitrag. Ja, jeder hat seinen eigenen inneren Rhythmus, auch Gesellschaften haben sehr verschiedene Rhythmen. Das macht übrigens die Anpassung für Menschen aus anderen Kulturen an die deutschen Routinen so schwierig. Sie haben einen anderen inneren Rhythmus. Ich beobachte das hier in Griechenland: eine Verkäuferin arbeitet mit höchster Konzentration an der Kasse, weit schneller als ich das bei Deutschen kenne. Dann kommt eine Freundin vorbei, sie hält an und spricht seelenruhig mit ihr, und die Leute, die an der Kasse warten, denken nicht daran zu protestieren. – Kurzum, hier besteht die Tendenz, fantastisch schnell oder überhaupt nicht zu arbeiten. In Deutschland muss ein gleichmäßiger Rhythmus eingehalten werden, nicht zu schnell, nicht zu langsam – sonst werden die Leute nervös. Der andere muss voll berechenbar sein.
    Es ist wie beim Busfahrplan. Dass der Bus zur rechten Zeit kommt, ist dem Deutschen weit wichtiger als der Busfahrer und dessen Befindlichkeiten. Wenn du als Grieche Busfahrer in Deutschland bist, leidest du. Wenn du als Deutscher auf die griechischen Busse angewiesen bist, leidest du. – Natürlich gibt es noch weit größere Diskrepanzen beim inneren Rhythmus zwischen einander fremderen Kulturen.
    Sicher ist es „dem Deutschen“ nicht eingeboren, einen solchen berechenbaren Rhythmus zu leben und zu fordern. Es ist das Ergebnis des jahrhundertelangen Industrialisierungsprozesses, der die Menschen in das Ticken der Zeituhr presste. In der nach-industriellen Zeit lockern sich diese Zwänge, und einige Privilegierte dürfen wieder nachdenken über die Wohltaten der Eigenzeit.
    Mit lieben Grüßen! Gerda

    1. Liebe Gerda,
      o ja! „Berechenbarkeit“, das ist auch noch ein ganz weites Feld mit sehr vielen Facetten! Herzlichen Dank für diese Ergänzung (muss ich schon wieder eine „Serie“ starten?! Ich lass es mal sacken. Nee: starre es ein Weilchen inwendig an….)
      Herzlichen Gruß
      Maria

  5. Liebe Maria,

    ich habe mich immer gegen Zeitmanagement gesträubt. Ich hasse es, meine Zeit komplett zu verplanen. Am Wochenende lebe ich gern in den Tag hinein und lasse mal Fünfe gerade sein.

    Bin so ein Typ, der stundenlang auf eine Hummel schauen kann oder auf das Meer. Fotografieren entschleunigt übrigens sehr gut. Da sieht man die Welt mit ganz anderen Augen.

    Liebe Grüße Sabine

    1. Liebe Sabine,
      HUMMELN! Wow, da bin ich noch nie drauf gekommen! Kanns mir aber gut vorstellen. Fotografieren sowieso (obwohl: wegen all der notwendigen Technik drumrum macht mich das eher unruhig… manchmal.)
      Hummelherzlichen Gruß
      Maria

  6. Hallöchen, ein wunderbarer Beitrag. Das kann ich so gut nachfühlen und denke auch, dass jeder irgendwie in eigenem „Tempo“ tickt, sich zwar nach der „allgemeinen“ Zeit richten muss, diese aber für sich selbst finden und nutzen kann und sollte. Der eine oder die andere guckt mich zwar komisch an, wenn ich von „Entschleunigung“ rede.
    Das was mann BEWUSST macht und erlebt, dauert meist etwas länger, als wenn man sich sputet, ganz schnell ganz viel in möglichst kurzer (Lebens-)Zeit zu „schaffen“ und zu erleben.
    Aber dafür ist die BEWUSSTE Zeit nicht so schnell wieder „weg“ und man hat – meiner Meinung nach – eindeutig mehr davon – auch später noch…
    DANKE!

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