Sichtbarkeit im Wandel der Zeit

Sichtbarkeit im Wandel der Zeit

Auf Facebook ist es zur Zeit schick, fünf Tage lang Fotos von sich selbst zu posten „als ich noch jünger war….“ Ich habe wirklich keine Lust, dabei mitzumachen. Denn ich finde: Früher sah ich oft irgendwie doof aus. Aber selbst wenn ich Lust hätte: Ich könnte gar nicht! Hab nämlich neulich einen Teil meiner alten Fotos gesichtet und dabei festgestellt: Es gibt ganz wenig Bilder von mir, die mich allein und irgendwie „repräsentativ“ zeigen. Repräsentativ soll heissen: Porträt oder ganzer Mensch drauf, alles sichtbar. Zum Beispiel die Mode der 60er, 70er und 80er Jahre. Was ich nun wieder ziemlich spannend fände. Deshalb frage mich jetzt: Warum ist das so?

einige alte Fotos von mir
Hat die Zahl der Fotos, die es von mir gibt was mit meiner Sichtbarkeit zu tun?

Selbstdarstellung früher: anlassbezogen

Wenn fotografiert wurde, hatte das immer einen Grund: Urlaub, ein neues Auto oder den Geburtstag von Verwandten zum Beispiel. Und dann waren das in aller Regel keine Einzel-, sondern Gruppenbilder. Für die Darstellung in den sozialen Netzwerken also völlig ungeeignet. Müsste ich ja all die Verwandten vorher fragen, ob sie damit einverstanden sind, dass ich die Fotos online stelle. Und bei vielen von ihnen wäre es ziemlich langwierig, ihnen zu erklären, WAS ich da überhaupt tun will…. Ist ein Problem.

Was mich aber wirklich nachdenklich macht: Die mangelnde Sichtbarkeit von mir als Person. Kann natürlich viele Gründe haben… Mir wurde zum Beispiel mit Nachdruck beigebracht, dass es unfein ist, sich selbst allzu wichtig zu nehmen. Bedeutet das, dass mir quasi schon von Kindheit an diese Art künstlich klein gehaltenes Selbstbewusstsein beigebracht wurde, das mir später immer wieder zu schaffen machte? Gut möglich.

Dann sehe ich an dem Mangel von „Porträt-Bildern“ auch, dass es eben nie auf mich ankam, sondern immer auf etwas, das ich grade tat – oft auch als eine Art Belohnung: Du hast was geleistet, darum wirst du nun fotografiert…: Heiraten oder Taufen-(Lassen), neues Auto gekauft, Geburtstags-“kinder“ feiern oder gefeiert werden, sich Urlaub verdient haben…. DAS zählte. Aber nie die Person an sich. Die wenigen echten Porträts waren immer anlassbezogen…. eine Schulprüfung, das Abitur, erste Bewerbungsfotos zum Beispiel. Einen kleinen Ausweg hatte ich: Mein erster Freund wollte Fotograf werden. Er hat einige Porträtfotos von mir gemacht. Das war was Besonderes. Und ich hab jahrelang eins davon außen an die Tür zu meinem ersten eignen Zimmer gehängt, als Visitenkarte sozusagen.

Ganz ehrlich: Das erschreckt mich. Dieser Mangel an Sichtbarkeit, den ich offensichtlich schon in frühster Jugend hatte. DAS hatte ich nicht erwartet, als ich begann, meine alten Fotos zu sichten. Andrerseits: Es verwundert kaum, denkt man drüber nach, welche Fotos wir von unsren Eltern und Großeltern haben… Da war das ja noch extremer. Man musste zum Fotografen gehen – ganz selten, nur zu den ganz großen Ereignissen kam er vielleicht auch mal ins Haus. Es kostete Geld und Zeit. Und doch: Viele der so Porträtierten strahlen auf diesen Fotos eine ungeheuer große Präsenz aus, Selbstbewusstsein, Stolz oder Nachdenklichkeit.

Selbstinszenierung heute: inflationär

Und heute? Die Sichtbarkeit ist explodiert, gern als Inszenierung oder bewusst un-perfekte Momentaufnahme. Ich bin mir aber gar nicht so sicher, ob Menschen, die sich selbst mehrmals am Tag fotografieren, auch ein besseres Selbstgefühl haben, eine deutlichere Vorstellung ihrer eignen Sichtbarkeit, ihrer Stellung in der Welt… In meinen Augen deutet nämlich grade diese Bilderflut eher auf das Gegenteil hin: Wer sich so exzessiv fotografiert, hat meiner Ansicht nach eben gerade keinen Begriff von sich, der eignen Präsenz und Sichtbarkeit. Oder warum sonst müssen sich so viele – meist junge – Menschen fast zwanghaft häufig fotografieren? Oder filmen? Manchmal scheint mir, als hätten sie Sorge, sonst gar nicht zu existieren….

Oder täusche ich mich? Wo beginnt die Sichtbarkeit? Mein Fazit ist: Sichtbarkeit ist nichts, was sich nach Quantität messen lässt. Sie ist eher eine Haltung, eine innere Überzeugung, ein Gefühl für sich in der Welt. Die Anzahl von Fotos oder Filmen, die es über einen Menschen gibt – oder eben nicht –  hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun. Auch wenn ich mich gern selbst besser auf Fotos im Wandel der (Mode-)Zeiten betrachten würde: Meiner Sichtbarkeit tut es nur wenig Abbruch, dass es diese Fotos bestenfalls spärlich gibt. Denn am Ende ist ja auch noch die Frage, ob das dann gefundene Foto die Verhältnisse wirklich so zeigt, wie ich sie in Erinnerung habe… Da hab ich mich beispielsweise großartig gefühlt, aber das Foto sieht heute – in meinen Augen jedenfalls – völlig albern aus….

Wie ist das bei euch?

Ich freue mich, wenn ihr diesen Beitrag in die Welt tragt ... danke!

8 Gedanken zu „Sichtbarkeit im Wandel der Zeit

  1. Hallo Maria, mit dieser Selfie-Flut kann ich gar nichts anfangen, da bin ich wahrscheinlich ähnlich sozialisiert wie du. Für’s Foto stellte man sich gerade hin, hat sich vorher noch mal gekämmt und auf keinen Fall irgendwelche Faxen gemacht. Heute möchte ich auf Fotos manchmal immer noch einen guten Eindruck machen, was aber nach eigener Einschätzung meist nicht klappt. Als ich selbst anfing zu fotografieren fand ich diese zwanghaften „jetzt bitte mal lächeln“ Bilder sehr schnell äußerst langweilig. Sie zeigten immer nur ein Wunschbild der Personen, das hinterher doch nicht so war wie gewünscht. Dann bin ich dazu übergegangen, aus dem „Hinterhalt“ zu fotografieren, so dass die Porträtierten es erst merkten als das Bild schon im Kasten war. Jede kompromitierende Situation habe ich vermieden, dennoch konnte ich Menschen in für sie sehr persönlichen Momenten festhalten. Nur in wenigen Ausnahmefällen stieß ich auf ausdrückliche Ablehnung. Die meisten Bilder schlummern heute in meinem Archiv. Mir selbst fällt es inzwischen leichter, auch im Anblick von Kameras ungezwungen zu sein. So weit ich weiß, gibt es bisher kein peinliches Bild von mir. Auch beim Blick auf alte Fotos von mir bin ich heute milder in meinem Urteil. So sah ich halt aus, damals. Eigentlich doch eher zum Schmunzeln, wie stolz ich war auf die langen Haare, die enge Jeans und diese komischen Schuhe und den super coolen Blick. Wenn mein Enkel ungläubig fragt:“Opa bist du das in echt?“, fühle ich mich fast geschmeichelt und erzähle gern von dem Opa, der damals ganz verrückte Sachen machte. Und da gehört für mich meine Sichtbarkeit hin.

    1. Lieber Rolf,
      das schreit ja gradezu nach einem (Online-)Foto-Album „als Opa noch verrückte Sachen machte“. Besser noch mit einer Ergänzung der „verrückten“ Sachen, die Opa heut so macht… Das „verrückt“ steht natürlich ganz absichtlich in Anführungszeichen, denn ich bin sicher: Es ist alles andere als das. Und mit der Sichtbarkeit, da bin ich ganz deiner Meinung: Genau da gehört sie hin. Und sollte irgendwie normalisiert werden…. Damit will ich sagen: Wir sollten aufpassen, dass das nichts „Exotisches“ wird (diese seltsamen alten Käuze, auf diesen komischen Fotos, die von Tag zu Tag mehr verblassen….) – es ist schließlich unser Leben. Und noch leben wir. Wenn deine eignen Enkel schon so erstaunt reagieren, frag ich mich, wie jüngere „frende“ Menschen uns sehen. Da könnte eine Kluft entstehen, die vermutlich gar niemand haben will. Das fände ich traurig…. nicht zuletzt deshalb, weil wir heute so viel mehr, so viel einfachere Möglichkeiten als frühere Generationen an der Hand haben, um das zu verhindern. Also wär mein Vorschlag: Her mit den Fotoalben! Ab ins Netz damit, möglichste viele verschiedene, kommentiert und weit gestreut….
      Herzlichen Gruß
      Maria

      1. Hallo Maria, hab lange gebraucht, um die Sache mit den Fotoalben zu überdenken. Erster spontaner Gedanke war: au prima! warum eigentlich nicht, da kann ich in Erinnerungen schwelgen und mal schauen, wie andere so drauf waren. Zweiter Gedanke war: o Gott, was geht das die anderen an?!
        Dann habe ich mich an diverse Fotobücher erinnert, die genau dieses Anliegen hatten, Menschen in ihrer Zeit zu zeigen und ich diese Bücher gerne angesehen habe. Kurz und gut, ich finde die Idee mit Fotoalben im Netz gut und würde mich beteiligen.
        Herzliche Grüße und entspannende Weihnachtstage
        Rolf

        1. Hallo, lieber Rolf, das ist fein! Lass uns doch bitte im Neuen Jahr gemeinsam daran „weiterdenken“, ja? Im Moment kann und mag ich einfach kein neues „Projekt“ beginnen…. Aber vielleicht gibt es ja weitere Mitstreiter?
          Dir jedenfalls erst einmal sehr schöne Feiertage, voller schöner Stunden.
          Herzlichen Gruß
          Maria

  2. Du fragst: „Oder warum sonst müssen sich so viele – meist junge – Menschen fast zwanghaft häufig fotografieren? Oder filmen?“ Ich glaube, das hat nicht nur was mit Selbstdarstellung oder Sichtbarkeit zu tun, sondern auch mit Spaß. Es macht ja auch Spaß, von anderen Bestätigung für tolle Fotos zu bekommen. Es ist schön, wenn andere sagen: „Wow, da siehst du aber toll aus.“ Vielleicht gerade auch in einer Situation, in der das eigene Selbstwertgefühl noch nicht so ausgeprägt ist.
    Schaue ich mir heute Fotos von mir an, auf denen ich jünger bin, finde ich die mittlerweile richtig toll. Früher fand ich mich auf den Fotos jedoch meistens gar nicht hübsch, sondern zu dick, zu doof, zu bäh. Hätte mir damals vielleicht jemand gesagt: „Tolles Foto! Siehst klasse aus!“, hätte mir das sicher gut getan.
    Mittlerweile sehe ich Fotos als das, was sie sind: Momentaufnahmen. Aufnahmen von Augenblicken, in denen es mir mal mehr, mal weniger gut geht. Ich scheue mich jedoch nicht mehr, sie zu zeigen. Denn das bin ich. Und wer nicht hinsehen will, muss es ja nicht.

    1. Liebe Simone, dank dir für deine klugen – fast schon weisen – Worte! Ja, wenn es wirklich nur darum geht, den Moment festzuhalten, bin ich sofort bei dir. Aber bei mir stimmt da das Verhältnis von Mensch und Stimmung nicht so ganz: Wenn ich einen besonderen Moment spüre, fotografiert mich niemand….. Auf die Idee, dann etwa ein Selfie zu machen, komme ich bis heute nicht. Vielleicht auch eine Sache der „Trainings“. Dann gibts da eben kein Bild von mir. Meine Lieblingsfotos sind aber tatsächlich die, in denen ich besondere Momnente, Dinge, Stimmungen, das Licht etc. festgehalten habe. Da sind halt nur meist keine Menschen drauf, weder ich noch sonstwer…. Kann gut sein, dass der Spaß dabei zu kurz kommt…

  3. Mit dieser Selfie-Manie kann ich auch nicht viel anfangen. Ich käme gar nicht auf die Idee. Meine Eltern haben mich auch „einfach nur so“ fotografiert, als Kind aber auch als Jugendliche. Die Bilder auf Facebook hochladen will ich trotzdem nicht.

    Ich bin nämlich kamerascheu. Nicht schüchtern, oh nein, als Stadtführerin bin ich natürlich auch eine Rampensau. Aber, sobald ich weiß, dass eine Kamera (Foto oder Film) läuft ist es aus mit mir. Ich versuche cool zu bleiben, mich dem fotografiert-werden nicht grundsätzlich zu verweigern (wie meine Schwiegermutter und deren Schwester), aber ich kann drauf verzichten. Wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich zufrieden, schaue ich ein Foto von mir an, könnte ich weglaufen. Fotos zeigen mich nicht. Fotos zeigen irgendwen anders, jemanden, mit dem ich nichts zu tun haben will.

    1. Liebe Gundula, jaa, das kenne ich: WAAAS?! Das da auf dem Foto soll ich sein?! Nee, ganz bestimmt nicht. Und dann steht da ein Fotograf und sagt: „Die Kamera lügt nicht!“ Arrrgh!

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